"Über dem 1. FC Nürnberg hängt das Damoklesschwert"

16.6.2017, 06:00 Uhr

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Bei einer Kapitalgesellschaft könnte die Bilanz schlagartig besser aussehen, frisches Geld wäre leichter zu beschaffen, so lauten die zentralen Argumente der Befürworter, auch die drohende Rechtsformverfehlung wäre erst mal vom Tisch. Stimmt das überhaupt alles? Prof. Klaus Ulrich Schmolke vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beantwortet die wichtigsten Fragen.

Herr Professor, kann man Ihrer Ansicht nach bei über 40 Millionen Euro Jahresumsatz noch vom gemeinnützigen Zweck eines eingetragenen Vereins (e.V.) sprechen?

Schmolke: Man muss hier unterscheiden. Gemeinnützigkeit ist eigentlich ein Begriff, den man aus dem Steuerrecht kennt. Ein e.V. soll grundsätzlich und per definitionem einen ideellen Zweck verfolgen, keinen wirtschaftlichen. Das sagt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Für sogenannte Wirtschaftsvereine stehen andere Rechtsformen zur Verfügung, wie zum Beispiel die GmbH oder die Aktiengesellschaft.

Wieso will das Gesetz, dass bei wirtschaftlicher Betätigung andere Rechtsformen verwendet werden und nicht die des Vereins?

Schmolke: Es gibt in einer GmbH und einer AG besondere Vorkehrungen, um die Gläubiger des Verbands zu schützen, etwa Ausschüttungssperren und dergleichen. Dieses Gläubigerschutzniveau hat man bei einem e.V. nicht. Daher darf man sich nicht einfach das Vereinsmäntelchen überhängen und so den Gläubigerschutz umgehen.

Warum gibt es im Profisport, speziell im Profifußball, trotzdem noch so viele eingetragene Vereine? Aktuell vier in der ersten, zwölf in der zweiten Liga?

Schmolke: Das kann ich mir nur mit der Tradition erklären. Diese Sportvereine sind früher alle einmal mit einem ideellen Zweck gegründet worden, um den Sport, um den Fußball oder ähnliche Aktivitäten zu betreiben und zu fördern. Im Laufe der Zeit ist die wirtschaftliche Dimension im Rahmen dieser ideellen Zwecksetzung hinzugekommen. Diese wirtschaftliche Dimension ist bei den im Profifußball engagierten Vereinen über die Zeit enorm gewachsen. Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund tatsächlich stellt: Ist die wirtschaftliche Betätigung noch dem ideellen Zweck untergeordnet und damit als sogenannter Nebenzweck beziehungsweise Nebentätigkeit zulässig? Oder wackelt da bereits der Schwanz mit dem Hund? Ist die wirtschaftliche Betätigung also bereits die Hauptbetätigung, läge bei den angesprochenen Fußballvereinen in der Tat eine Rechtsformverfehlung vor.

Wie beurteilen Sie das, wenn ein e.V. wie der FC Schalke pro Geschäftsjahr  dreistellige Millionenumsätze erwirtschaftet? Ist das noch mit dem eigentlich ideellen Zweck, mit den rechtlichen Vorgaben des BGB vereinbar? In Berlin musste kürzlich ein Kita e.V. seine Rechtsform ändern.

Schmolke: Die Rechtsprechung sagt hierzu, dass die wirtschaftliche Betätigung dem ideellen Nebenzweck funktional untergeordnet sein muss. Nur ist im Detail vieles umstritten. Der BGH gibt sich seit einer Grundsatzentscheidung aus den 1980er Jahren bislang damit zufrieden, wenn die Vereine ihre Wirtschaftstätigkeit auf eine Tochtergesellschaft ausgliedern, an der sie die Mehrheit halten. Die ausgelagerte wirtschaftliche Betätigung der Tochter wird dem Verein dann überhaupt nicht mehr zugerechnet. Nach Ansicht des BGH ist dem eben angesprochenen Gläubigerschutz nämlich Genüge getan, wenn ich die Tochter als GmbH oder AG organisiere, weil diese einen angemessen hohen Gläubigerschutz bietet. Was der BGH sagt, das ist das tatsächlich gelebte Recht, das zählt.

Sieht das auch jeder so? Gibt es anderslautende Meinungen?

Schmolke: In der wissenschaftlichen Diskussion stößt die Haltung des BGH teilweise auf Widerspruch. Nach Ansicht dieser Gegenstimmen wird die wirtschaftliche Tätigkeit der Tochtergesellschaft dem Verein sehr wohl zugerechnet, wenn dieser einen beherrschenden Einfluss auf die Tochter hat. Das wäre im Rahmen der 50+1-Regel der DFL-Statuten der Fall. Nach einer Phase der Unsicherheit hat das Amtsgericht München jüngst in der Sache Bayern München wieder entsprechend der BGH-Linie entschieden. Deutlich problematischer ist hingegen die Situation für diejenigen Fußballvereine, die ihre Lizenzspielerabteilung bislang nicht ausgegliedert haben, wozu auch der 1. FC Nürnberg gehört. Über diesen Vereinen hängt das Damoklesschwert der möglichen Löschung aus dem Vereinsregister. Insofern ist es kaum zu verstehen, dass diese Vereine die vom BGH gebaute Brücke bislang nicht beschritten haben.

Und wenn der BGH seine Rechtsprechung aufgeben und auf die Gegenansicht einschwenken würde? Was würde dann aus der 50+1-Regel?

Schmolke: Die 50+1-Regel könnte dann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Der ADAC hat bei seiner letzten großen Umstrukturierung bereits veranlasst, dass der Verein keine Mehrheit mehr an seinen ausgegliederten Kapitalgesellschaften hält, um wirklich jedes Risiko auszuschließen. Die Bundesligavereine können das gegenwärtig noch nicht machen, weil sie dann den Lizenzierungsbestimmungen der DFL zuwider handeln würden.

Mit welchen Konsequenzen hätten denn ein e.V. und seine Mitglieder im Falle der Rechtsformverfehlung zu rechnen?

Schmolke: Für den Fall, dass die wirtschaftliche Betätigung des Vereins nicht mehr als bloße Nebentätigkeit angesehen würde, etwa weil die wirtschaftliche Tätigkeit der Tochtergesellschaft der Vereinsmutter zugerechnet würde, hätten wir dann eine Rechtsformverfehlung. Diese führt nach Ansicht des BGH jedoch nur ganz ausnahmsweise, das heißt bei gezieltem Rechtsmissbrauch, zu einem Haftungsdurchgriff auf die Mitglieder. Jedoch könnten die Registergerichte eine Amtslöschung veranlassen, das heißt von sich aus oder auf Anregung hin, wie es ein Kollege neulich mit Bayern München versucht hat, eine Löschung durchführen. Der Verein verlöre mit der Löschung seinen Status als rechtsfähiger e.V. Dies hätte nach einigen Stimmen in der Rechtswissenschaft zur Folge, dass der Verein liquidiert werden muss. Andere gehen hingegen von einer Fortsetzung des Verbands als nichtrechtsfähiger Wirtschaftsverein aus. Letzteres würde jedenfalls nach einer Übergangsfrist zur persönlichen Haftung der Mitglieder führen, die nicht rechtzeitig ausgetreten sind.

Bei einem e.V. mit knapp 18 Millionen Euro Verbindlichkeiten könnte das heikel werden?

Schmolke: Es klingt bedrohlich, aber zu einer Haftung der Mitglieder wird es typischerweise schon deshalb nicht kommen, weil so ein Löschungsverfahren dauert und man Rechtsmittel einlegen kann. Zudem wird die Löschung häufig zunächst nur angedroht, um den Verein zum Handeln zu bewegen. Der Verein hat also regelmäßig genug Zeit, sich vor der drohenden Löschung umzustrukturieren und so die Löschung selbst oder doch zumindest deren negative Folgen für die Mitglieder zu verhindern.

Es würde also nie soweit kommen, dass die Mitglieder des 1. FC Nürnberg e.V. persönlich für die Schulden des Vereins haften müssten?

Schmolke: Unter normalen Umständen kommt es nicht dazu. Der betroffene Verein hat regelmäßig genug Zeit, während des laufenden Löschungsverfahrens gegenzusteuern, um allzu harsche Rechtsfolgen zu vermeiden. Sollte er das nicht tun, hätten die Vereinsmitglieder nach vorzugswürdiger Ansicht ab dem Zeitpunkt der Löschung noch drei Monate Zeit auszutreten, um so die persönliche Haftung zu vermeiden.

Wie Sie bereits erwähnten, gehen die Meinungen tatsächlich weit auseinander. Der 1.FSV Mainz hat bei ihren Kollegen Schardt und Alvermann ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem die genannten Juristen keine Notwendigkeit oder gar Dringlichkeit einer Ausgliederung erkannten. Leuschner und Hadding behaupteten später das genaue Gegenteil. Wenn Sie der Club wären – was würden Sie also machen?

Schmolke: Ohne die Details zu kennen, liegt eine Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung nahe, um das Risiko der Amtslöschung weitgehend auszuschalten.

Warum ist eine solche Amtslöschung in all den Jahren noch nicht eingeleitet worden?

Schmolke: Lange Zeit lag die Zuständigkeit hierfür bei den Verwaltungsbehörden. Nicht zuletzt wegen deren Passivität hat der Gesetzgeber vor einiger Zeit klargestellt, dass die Registergerichte für die Sanktionierung von Rechtsformverfehlungen zuständig sind. Einige Registergerichte, insbesondere das für ganz Berlin als Registergericht zuständige Amtsgericht Charlottenburg, gehen nun in letzter Zeit verstärkt gegen Rechtsformverfehlungen wirtschaftlich tätiger Vereine vor und drohen die Amtslöschung an. Die von Ihnen angesprochene "Kita-Rechtsprechung" des Berliner Kammergerichts hat diese Praxis gestützt. Eine höhere Aktivität der Registergerichte könnte also Schule machen. Im konkreten Fall geht es dann um Fragen tatsächlicher Art. Auf das Nebenzweckprivileg könnte ich mich nur dann berufen, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit eine dienende Funktion hätte, untergeordnet wäre. Wird mehr erwirtschaftet, als nötig wäre, um den ideellen Zweck auch in den anderen Abteilungen zu fördern, würde ich in jedem Fall handeln: Eine Kapitalgesellschaft gründen und ausgliedern. Aber auch wenn dies jetzt noch nicht der Fall wäre, bestünde immer die Gefahr, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des Vereins künftig in einem Maße wächst, dass die Voraussetzungen des Nebenzweckprivilegs wegfallen. Wieso sollte sich der Club unnötig mit diesem Risiko belasten?

Die Diskussion in Nürnberg ist längst eine ausgesprochen emotionale. Traditionalisten und Modernisierer stehen sich relativ unerbittlich gegenüber.

Schmolke: Wenn der Club mithilfe einer Ausgliederung seine wirtschaftlichen Perspektiven verbessern möchte, hat das zunächst nichts mit der drohenden Rechtsformverfehlung zu tun. Deren Abwendung wäre dann lediglich ein Nebeneffekt der Ausgliederung. Die Fragestellung muss ja dann heißen: Komme ich nach einer Ausgliederung leichter an frisches Geld? Das hat Borussia Dortmund seinerzeit so entschieden und dann Geld über die Ausgabe von BVB-Aktien eingesammelt. Der FC Schalke 04 hat es anders gemacht und etwa eine Anleihe begeben, ohne die Lizenzspielerabteilung auszugliedern.

Würde eine AG überhaupt Sinn ergeben für den Club?

Schmolke: Wenn es auch darum gehen soll, leichter an Kapital zu kommen, insbesondere über den Kapitalmarkt, dann kann das schon sinnvoll sein. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist Borussia Dortmund.

Obwohl die Aktien nur noch einen Bruchteil des Ausgabepreises wert sind?

Schmolke: Den meisten Zeichnern von Fußballklub-Aktien dürfte es wohl in erster Linie darum gehen, ihrem Verein etwas Gutes zu tun. Sie schielen deshalb häufig gar nicht so sehr auf die Rendite beziehungsweise die Wertsteigerung der Aktien. Wenn allerdings nach den ersten Erfahrungen zu erwarten steht, dass man mit FCN-Aktien eher viel Geld verliert, dürfte es tendenziell schwieriger werden, künftig über Aktienemissionen frisches Geld einzusammeln.

Wie würde sich, sagen wir, eine 1. FC Nürnberg GmbH unmittelbar auswirken?

Schmolke: Der Verein würde als selbstständige Organisation bestehen bleiben und wäre dann Mehrheitsgesellschafter der GmbH. Der Club bliebe der Club. Außerdem änderte sich die wirtschaftliche Betätigung ja erst einmal nicht, sondern würde nur auf einer anderen organisatorischen Ebene, nämlich in der Tochter-GmbH, fortgesetzt. Auch die Traditionalisten wollen ja, dass der 1. FC Nürnberg weiter besteht und erfolgreich ist. Wenn das hierfür erforderliche frische Geld nur bei einer solchen Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft zu erlangen ist, dann müssten eigentlich auch die Traditionalisten letztlich dafür sein.

Angeblich hat der Kaufmännische Vorstand für den Fall der Ausgliederung bereits drei bis vier Unternehmen, sprich Gesellschafter in der Hinterhand. Was wäre hierfür die geeignetste Rechtsform?

Schmolke: Das kann man ohne Kenntnis der Details nicht so leicht feststellen. Abstrakt lässt sich aber sagen, dass die GmbH eine geeignete Rechtsform wäre, wenn es darum geht, nur wenige Gesellschafter zusammenzubringen. Im Vergleich zur AG bietet diese Rechtsform eine deutlich höhere Flexibilität bei der Satzungsgestaltung. Die AG hat hingegen ein relativ starres Rechtskorsett. Zudem gewährt die Gründung einer AG für sich genommen noch keinen Zugang zum Kapitalmarkt. Hierzu bedürfte es mit dem Börsengang eines weiteren, kostspieligen Schrittes.

Würden die Mitglieder ihren aus dem e.V. gewohnten Einfluss verlieren? Muss der Jahresabschluss auch in einer GmbH offengelegt werden?

Schmolke: Zunächst zur zweiten Frage: Die GmbH unterfällt der Rechnungslegungspublizität. Was den Einfluss der Vereinsmitglieder betrifft, so gilt: Schon wegen der 50+1-Regel bleibt der Verein Mehrheitseigner der Tochtergesellschaft, der Vorstand des Vereins würde die Rechte geltend machen und den Vereinsmitgliedern Rechenschaft ablegen.

Dass alle Vereinsmitglieder tatsächlich in die Bilanzen schauen, kann ich mir ehrlich gesagt aber nicht vorstellen. Bei der Mitgliederversammlung der GmbH wären die Vereinsmitglieder aber tatsächlich nicht dabei.

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