"Verdienen, dort zu stehen": HEC-Trainer Nemirovsky im Portrait

28.1.2021, 14:12 Uhr
Einer der Väter des Höchstadter Erfolgs: Mikhail Nemirovsky.

© Thomas Hahn, ©Thomas Hahn Einer der Väter des Höchstadter Erfolgs: Mikhail Nemirovsky.

Die unnachahmlichen Pressekonferenzen des Mikhail Nemirovsky fallen momentan aus. In der Pandemie werden in der Eishockey-Oberliga Süd auch die Trainer strikt voneinander getrennt. Als Nemirovsky vor knapp einem Jahr nach seinem ersten Heimspiel als Coach des Höchstadter EC im für ihn typischen Mischmasch aus Deutsch und Englisch seinen ersten Ansatz beschrieb, mussten viele schmunzeln. "No Halli-Galli, but just play and have fun", habe er seinen Spielern auf den Weg gegeben. Kein Halli-Galli, nur spielen und Spaß haben.

Im Februar 2020 steckte der HEC im Abstiegskampf. Der Verein mit dem kleinsten Budget der Liga war in einer desaströsen Hauptrunde abgeschlagen Letzter geworden. Nemirovsky stabilisierte das Team, ehe die Pandemie die Spielzeit beendete.

Knapp ein Jahr später ist Höchstadt die Überraschungsmannschaft der Liga. Obwohl das Budget nicht größer geworden ist, liegt der HEC auf Platz vier. Die Playoffs scheinen 13 Spiele vor Ende der Hauptrunde greifbar, es wäre der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Das wäre aber auch schon die Teilnahme an den Pre-Playoffs. Und eine Oberliga-Spielzeit, in der man die Ligafavoriten reihenweise geschlagen hat, hat es auch noch nicht gegeben.

"Ist nicht gut, zu weit vorauszublicken"

Trotzdem ist der Trainer vorsichtig. "Wir verdienen es momentan, dort zu stehen, wo wir sind", sagt Nemirovsky. Noch will er aber nicht an die Playoffs denken, obwohl sich der HEC nach dem Sieg weiter voll auf Kurs befindet. "Das Wichtigste ist, gesund zu bleiben, auf und außerhalb des Eises. Wir versuchen alles zu gewinnen. Es ist nicht gut, zu weit vorauszublicken", sagt Nemirovsky.

Seine Philosophie umfasst natürlich mehr als "spielen und Spaß haben". Halli-Galli aber schätzt er immer noch nicht. "Ich verschwende keine Zeit und Energie mit Dingen, die wir nicht tun müssen", sagt er. Schon bei seinem Amtsantritt hat er die Trainingseinheiten kürzer und dafür intensiver gestaltet. Das passt zu einer Mannschaft, die fast jede Woche dreimal spielt, mehrmals trainiert, und in der viele Spieler neben dem Sport noch an der Supermarkt-Kasse sitzen oder studieren gehen.

Disziplin und Teamgeist

Hinter Nemirovskys Wechseln zwischen Deutsch und Englisch – er spricht auch Russisch – steht der Wunsch, sich möglichst präzise auszudrücken. Präzise, strukturiert, taktisch diszipliniert – so lässt sich auch das Spiel seines Teams beschreiben.

Am Dienstag musste das der SC Riessersee erfahren. Der zehnfache Deutsche Meister ist eines der Top-Teams der Oberliga. Doch die Höchstadter zerlegten Riessersee mit punktgenauen Offensiv-Spielzügen. 7:3 hieß es am Ende, es war der neunte Höchstadter Heimsieg in Folge, der elfte insgesamt.

Disziplin ist dabei eine Form von Teamgeist. "Die Spieler sollen Raum und Zeit für den andren schaffen, ohne zu betrügen. Kein Alibi-Spiel", sagt Nemirovsky. Was er damit meint? "Wenn jemand vortäuscht zu arbeiten. Wenn er die falsche Position einnimmt, sich im Spiel versteckt. Wenn er nicht an seine Reihe, sondern an sich selbst denkt."

So blühen hinter Milan Kostourek, Jari Neugebauer und Anton Seewald, die eine der stärksten Reihen der Liga bilden, auch die jungen Spieler auf. Der Kader ist besser und tiefer besetzt als vergangene Saison.

Als Spieler kam er bis nach Shanghai

Bei einigen hat Nemirovsky mitgewirkt, dass sie nach Höchstadt kommen. Seewald und Goalie Benjamin Dirksen sind wie er vom insolventen EC Bad Kissingen gekommen. Teammanager Daniel Tratz hatte ihn empfohlen. "Wir arbeiten sehr gut zusammen", sagt Nemirovsky. Er ist nach seiner Spielerkarriere mit über 40 Stationen bestens vernetzt. Er hat bei Spartak Moskau gespielt, beim Farmteam der Montreal Canadiens und den China Dragons aus Shanghai. "Als ich die Chance hatte, die Welt zu sehen, habe ich sie genutzt", hat Nemirovsky einmal gesagt.

Eine Heimat in Franken

Dass er in Franken eine Heimat gefunden hat, liegt an seiner Frau, einer Schweinfurterin. "Für mich ist das Wichtigste, bei meiner Familie zu sein", sagt Nemirovsky. Und so wird er auch kommende Saison den HEC trainieren. "Ich will für eine längere Zeit bleiben, ich bin froh über das Vertrauen. Ich hoffe natürlich, jeder behält die Energie, wenn die Dinge einmal nicht so laufen", sagt er.

Momentan aber laufen sie. Das langfristige Ziel lautet, sich in der Oberliga zu etablieren. Mit Nemirovsky scheint man dafür den richtigen Trainer gefunden haben. "Wir müssen uns immer verbessern, nicht nur die Spieler, auch der Trainer, das Team, der Verein. Dann ändert sich die Kultur des Vereins", erklärt er.

Vorher könnten Playoffs kommen, ohne Pressekonferenzen, aber vor allem vor leeren Rängen. Das ist das einzig Bittere an dieser Geschichte des Höchstadter Höhenflugs.

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