Wilson wehmühtig: "Ganz ehrlich: Ich habe Nürnberg geliebt!"

5.5.2018, 14:01 Uhr
Raus mit Applaus: Rob Wilson hatte großen Respekt vor Betreuern, vor Fans und sogar vor Journalisten.

© Sportfoto Zink / ThHa Raus mit Applaus: Rob Wilson hatte großen Respekt vor Betreuern, vor Fans und sogar vor Journalisten.

Rob Wilson hat den Anruf bereits erwartet, es ist sicher nicht der einzige geblieben an diesem Donnerstag, an dem eine Pressemitteilung der Thomas Sabo Ice Tigers alles verändert hat. In zwei Wochen wird Wilson nach Kanada fliegen, zurück nach Peterborough in Ontario, zurück zu seinen Töchtern, zurück in seine Zukunft als Cheftrainer der legendären Peterborough Petes. In seiner dritten Wahlheimat in Nordengland, der Heimat seiner Verlobten Heidi, muss sich der 49-Jährige noch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Am Telefon wird Wilson erzählen, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen ist, die Ice Tigers um die Auflösung seines Vertrags zu bitten. Das ist nicht überraschend. Wilsons Bekenntnisse zu diesem Klub und zu dieser Stadt wirkten niemals falsch. Es wird ein emotionales letztes Interview. Es mit einem schwachen Witz zu beginnen, war trotzdem keine gute Idee. 

Vor Länderspielpausen haben Sie stets gescherzt, dass die Ice Tigers froh sein dürfen, Ihr Gesicht nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen. Haben Sie schon Glückwünsche per WhatsApp oder SMS Ihrer Ex-Spieler bekommen?

Rob Wilson: Die Nachricht verbreitet sich ja gerade erst. Ich hatte in Nürnberg immer das Glück, mit einer großartigen Gruppe von Männern zusammenzuarbeiten. Solche Männer coachen zu dürfen, das ist nicht selbstverständlich. Und mit mir zusammenarbeiten zu müssen, ist nicht immer ganz einfach.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch immer nur versucht, das Beste aus allen herauszuholen, um sicherzustellen, dass wir auf jedes Spiel vorbereitet sind – und wenn man das von Juli bis Ende April macht, kann das für die Spieler schon sehr anstrengend werden. Und natürlich gab es Tage, an denen sie mein Anblick genervt hat, deshalb habe ich das jedes Mal gesagt. Aber dabei ist es doch diese Mannschaft, die es mir noch schwerer gemacht hat, diese Entscheidung zu treffen.

Vor zwei Wochen haben wir uns gegenseitig einen schönen Sommer gewünscht. Was ist seitdem bis zur offiziellen Pressemitteilung der Ice Tigers passiert?

Wilson: Tatsächlich hat sich das alles direkt am Abend nach der Abschlussfeier entwickelt. Ich bekam einen Anruf, der mir zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben hat, eine Mannschaft zu Hause bei meinen Mädels zu coachen. Sie sind im Sommer fünf, sechs Wochen nach Nürnberg gekommen und immer auch an Weihnachten. Und natürlich haben wir in der Pause viel Zeit miteinander verbracht, wir stehen uns sehr nahe. Aber natürlich war es schwer für sie, dass ihr Dad Tausende Kilometer weit entfernt auf einem anderen Kontinent gearbeitet hat. Und plötzlich hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, dort zu coachen, wo sie leben.

In Peterborough, wo Sie einst als Jugendlicher Eishockey gespielt haben, wo Sie ein Ferienhaus am See besitzen.

Wilson: Genau. Und als Vater, dachte ich, werde ich ihnen nicht gerecht, wenn ich dieses Angebot nicht annehme, bei ihnen zu sein. Also habe ich mit Heidi gesprochen und mir war klar, wie kann ich als Vater in den Spiegel schauen, wenn ich nicht zurückkehre, Aber es war eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Ich will das gar nicht leugnen, da sind einige Tränen geflossen. Es war sehr emotional – und ist es immer noch. Aber als Vater musste ich das machen.

"Es war meine zweite Heimat" 

Wie lange haben Sie dafür gebraucht?

Wilson: Ich hatte ja keine Zeit, es ging alles so schnell. Erst war ich mir sicher, das nicht machen zu können. Niemals. Aber dann habe ich viele Gespräche geführt in der Nacht von Sonntag auf Montag. Und dann habe ich keine andere Möglichkeit mehr gesehen. Ganz ehrlich: Ich habe Nürnberg geliebt. Es war meine zweite Heimat. Meine Töchter sind auch immer gerne hierhergekommen. Als Familie hatten wir große Pläne hier. Stattdessen werden wir den Klub und die Stadt nun innig vermissen. Wir behalten sehr wertvolle Erinnerungen an diese Stadt und ihre Menschen – das bezieht sich aufs Eishockey und auf das Leben.

Dass im Sommer in Peterborough ein erfahrener Coach lebt, das war wahrscheinlich auch den Verantwortlichen der Petes immer klar. War es das Problem der Ice Tigers, dass Sie mit der Mannschaft zu erfolgreich waren?

Wilson: Wahrscheinlich hat es nicht geschadet, dass wir in Nürnberg Erfolg hatten. Außerdem habe ich selbst für die Petes gespielt. Wir haben damals den Memorial Cup (die Meisterschaftstrophäe für alle vier Juniorenligen, in Kanada der wichtigste Titel nach dem Stanley Cup, die Redaktion) geholt. Ich bin verwurzelt in dieser Gegend, habe da viele Freunde. Das alles hat wohl eine Rolle gespielt. Der Klub hat Tradition, viele Spieler haben es in die NHL geschafft, Peterborough ist eine echte Eishockey-Gemeinde. Im Sommer spricht man mit vielen Menschen – und plötzlich ist der Name im Umlauf. So hat sich das wohl entwickelt. Wir waren ja auch dieses Jahr wieder so nahe dran, natürlich hätten wir die Rolle von Berlin im Finale spielen können – und wer weiß, wie das dann ausgegangen wäre. Das ist auch den Menschen in Peterborough nicht entgangen.

Künftig coachen Sie 19-Jährige. Bislang haben Sie Steckel, Reinprecht und Segal gecoacht, gestandene Männer mit Familien. Mal unabhängig von Ihrer familiären Situation: Reizt Sie das?

Wilson: Männer wie Reimer, Reino, Stecks und Dups zu coachen, und diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen, war ein Vergnügen und eine Ehre. Aber ich habe immer auch gerne mit jungen Spielern gearbeitet, mit Oliver (Mebus), Leo (Pföderl) oder Weebs (Marcus Weber). Mit diesen Jungs haben wir tolle Fortschritte gemacht. Diesen Teil des Sports habe ich wirklich auch gerne gemacht. Es war eine Freude zu sehen, wie sie zu Männern und wichtigen Spielern in der Liga werden. Leo habe ich genervt damit, dass er mehr schießen soll, weil sein Schuss ein Geschenk ist, genauso sind Webers schnelle Beine eine Geschenk, man musste sie nur immer wieder an diese Talente erinnern. Mebus ist ein Riese mit einem hohen Eishockey-IQ. Ich arbeite und entwickle sehr gerne junge Spieler. Vielleicht schafft es wieder einer in die NHL.

Als junger Trainer war mir eine Sache noch nicht klar: Man hat eine Verantwortung für diese Jungs – ob für Kinder, junge Männer oder Familienväter. Man hat die Verantwortung, ihre Leben positiv zu beeinflussen. Ich glaube, das ist mir gelungen – das gilt für Reino, aber auch für Leo oder Oliver. Die Verantwortung muss man ernst nehmen, in den Spiegel schauen und das Richtige tun. Das ist wirklich wichtig.

"Es sieht nicht so aus, als sollte es schlechter werden"

Nürnberg hat einen Kern richtig guter Spieler. Die Ice Tigers starten in der Champions Hockey League, Sie sind dem Meistertitel immer näher gekommen und haben viele Erfahrungen in den Playoffs gesammelt. Beneiden Sie Kevin Gaudet?

Wilson: Ja, das mache ich natürlich.

Ehrliche Antwort.

Wilson: Was soll ich schon sagen? Ich werde da nicht lügen. Zusätzlich zur Stadt, dem Klub und den Spielern hier hat es die Entscheidung nicht einfacher gemacht, dass wir an der Schwelle stehen, an der letzten Schwelle. Von jetzt an werde ich Fan sein und darauf hoffen, dass sie die Reise beenden – auch ohne mich. Wir hatten eine gute Zeit. Es sieht nicht so aus, als sollte es schlechter werden. Jungs wie Will Acton und Brandon Buck sind großartige Verpflichtungen, zusammen mit der Erfahrung aus den letzten drei Jahren ist das eine sehr gute Mischung. Wir haben Widrigkeiten getrotzt, das ist wichtig, vielleicht unerlässlich, um irgendwann zu gewinnen. Wir hatten Höhen und Tiefen, großen Kummer, große Freude.

Ich werde aus der Ferne so viel wie möglich davon anschauen. Und ich werde mich immer noch als Teil des Ganzen fühlen. Viele Stunden haben wir in diesen Klub gesteckt. Und ich habe immer daran geglaubt, dass nicht mehr viel fehlt. Die nächste Saison wird großartig.

"Wir haben hier so viel Arbeit reingesteckt"

Kennen Sie Kevin Gaudet?

Wilson: Ein bisschen. Seine Bilanz ist beeindruckend. Er ist erfahren, versteht das deutsche Eishockey. Vor allem aber weiß er, wie man gewinnt. Er wird gut zu den Ice Tigers passen.

Am Tag bevor die Ice Tigers den Trainerwechsel verkünden mussten, haben wir Anrufe aus Wien und aus Berlin bekommen, von Journalisten, die ebenfalls auf der Suche nach neuen Trainern waren. Mal ehrlich: Hatten Sie weitere Angebote vorliegen, Angebote, die Sie gereizt hätten?

Wilson: Nein. Unabhängig von meiner familiären Situation wäre ich wirklich so gerne langfristig in Nürnberg geblieben. Wir haben hier so viel Arbeit reingesteckt, dass mich ein anderes Angebot nicht interessiert hätte. Als ich die Ice Tigers darüber informiert hatte, dass ich meinen Vertrag auflösen will, haben wir uns darauf geeinigt, dass wir aus Respekt vor beiden Klubs warten, bis wir es veröffentlichen. Aber das hatte nichts mit einem dritten Klub zu tun. Einen Wechsel innerhalb der DEL hätte es niemals gegeben.

"...., dann werden wir gerne zurückkommen" 

Ihre Kinder werden älter und es wird eine Zeit kommen, in der sie ihren Dad nicht mehr brauchen werden. Könnten Sie sich in dieser Zeit vorstellen, nach Nürnberg zurückzukehren?

Wilson: Definitiv würde ich dann mit Thomas Sabo reden. Ich kann nur gut über diese Organisation sprechen. Wir verbinden nur Positives mit der Zeit in diesem großen Klub. Noch einmal: Deshalb war es ja auch so eine schwere Entscheidung. Und wenn mich der Klub zurückhaben will, gerne. Ich habe aber viel Zeit mit meinen Töchtern verpasst, Zeit, die wir nicht mehr zurückholen können. Deshalb musste ich diese Entscheidung jetzt treffen. Bevor sie erwachsen werden, ist das meine letzte Chance, nach Hause zu kommen, um ihnen jeden Tag ein guter Dad zu sein. Aber was Sie gesagt haben, bricht mir das Herz. Aber es stimmt wohl, dass sie ihren Vater irgendwann nicht mehr brauchen. Das geht uns wohl allen so, nicht wahr? Irgendwann komme ich nur noch, um den Rasen zu mähen. Wenn Thomas Sabo und der Klub dann immer noch wollen, werden wir gerne zurückkommen.

1 Kommentar