75 Jahre NN: Die tägliche Tour durch den Morgen der Stadt

19.8.2020, 18:07 Uhr
75 Jahre NN: Die tägliche Tour durch den Morgen der Stadt

© Foto: Michael Matejka

20 Minuten später läutet der zweite Alarm, und dann geht alles sehr schnell. Rizzato geht in ihr Bad, zieht sich an, geht zur Tür hinaus und die Treppen vom zweiten Stockwerk aus hinunter. Kein Frühstück, nicht einmal eine Tasse Kaffee.


Die Geschichte der Nürnberger Nachrichten


Um diese Zeit bringe sie einfach nichts herunter, sagt sie. Das einzige, woran sie dann denkt, ist ihr Beruf. Rizzato arbeitet als Zeitungszustellerin und sorgt dafür, dass die Abonnenten der Nürnberger Nachrichten und der Nürnberger Zeitung, aber beispielsweise auch die Leser der Süddeutschen Zeitung, der TAZ oder des Handelsblatts ihre Morgenlektüre im Briefkasten haben, bevor sie selber aufstehen.

Mit Blick auf den gesamten Produktionsprozess der Tageszeitung sind Rizzato und ihre rund 2200 Kolleginnen und Kollegen bei der Nordbayerischen Zeitungs- und Zeitschriften-Zustellgesellschaft (NZZ) ein immens wichtiges Rad im Getriebe. Die Redaktion kann jeden Tag über neue Geschichten nachdenken, recherchieren, Interviews führen, Nachrichten bearbeiten und freigeben. Die Druckmaschinen im Verlagsgebäude können wild rotieren, die Zeitungen vom Hof gefahren werden. Aber wenn niemand mitten in der Nacht aufstehen und losziehen würde, um die Briefkästen der Leserinnen und Leser zu bestücken, wäre am Ende alles umsonst.

Das Zustellgebiet der NZZ umfasst Mittelfranken, Teile von Oberfranken und der Oberpfalz, es reicht von Treuchtlingen im Süden bis Pegnitz im Norden und von Neumarkt im Osten bis Rothenburg ob der Tauber im Westen. Mit über 64 Autotouren, die in einer Nacht rund 12 000 km zurücklegen, werden die Zusteller mit den 230 000 Tageszeitungen an festen Abladestellen beliefert.


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Dorthin führt auch der erste Weg von Marina Rizzato. Mit ihrem Karren, in dem zwei blaue Taschen hängen, folgt sie der Bucher Straße Richtung Zentrum. Rund um den Friedrich-Ebert-Platz in der Nordstadt liegen die beiden Bezirke, die sie betreut. Doch bevor sie an der Lieferstelle die erste Ladung der insgesamt rund 170 Zeitungen einpackt, die sie Nacht für Nacht zustellt, und ihre Route beginnt, liest sie selber erst einmal ein paar Minuten die Nürnberger Nachrichten. "Immer erst die Aufmacherseite im Lokalteil, dann die Titelseite", sagt sie. Den Rest hebt sie sich für zu Hause auf, wenn die Arbeit beendet ist.


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Wenige Meter vom Ablageort entfernt wohnt der erste Abonnent, hier bestückt sie den ersten Briefkasten. Dann geht es weiter durch das Viertel mit den vielen Altbauten, die noch im Dunkeln liegen. Seit zehn Jahren macht Rizzato den Job. Zuvor hat die gelernte Bäckerin acht Jahre lang in der Backstube gestanden, was rückblickend ein Vorteil ist, wie sie sagt. "Das frühe Aufstehen war ich schon gewohnt, als ich als Zustellerin angefangen habe."

Schon ihre Mutter, die inzwischen die meiste Zeit des Jahres mit ihrem Mann in Süditalien wohnt, hat als Zustellerin gearbeitet. Durch sie kam sie auf die Idee, den Beruf zu wechseln und zieht seither an jedem Wochentag in der Nacht durch die Straßen. Der Job ist hart, vor allem in der kalten Jahreszeit. Von Oktober bis Februar "ist es einfach schrecklich dunkel", sagt Rizzato. Dazu kommen die Kälte, Regen und Schnee.

75 Jahre NN: Die tägliche Tour durch den Morgen der Stadt

© Foto: Eduard Weigert

Und natürlich hatte die junge Frau in der Vergangenheit auch schon unangenehme Begegnungen mit Nachtschwärmern. Deshalb ist sie froh, dass während ihrer Schicht regelmäßig Polizeiwagen auf Streife unterwegs sind. "Wenn ich die sehe, ist das beruhigend." Manchmal kann sie aber auch helfen. Einmal ist sie einem Obdachlosen begegnet, der nicht mehr aufstehen konnte, weil er sich verletzt hatte. Als dann der Rettungswagen kam, habe sie sich für den Mann gefreut, sagt sie. Und so mancher verdankt es ihr auch, den verlorenen Schlüssel oder auch Geldbeutel wiederbekommen zu haben. "Auf den Gehwegen findet man um diese Uhrzeit alles Mögliche und Unmögliche", sagt Rizzato.

Unter dem Strich übt sie den Beruf deshalb sehr gerne aus, überwiegen für sie die Vorteile. "Es macht schon auch Spaß in der Nacht. Ich bin mein eigener Chef, man macht alles alleine und folgt seinem eigenen Rhythmus, das passt." Und eintönig sei es nie, was auch mit ihren beiden Bezirken in der Nordstadt zusammenhängt. Rizzato findet es schön, dass sie ihre Tour zu Fuß machen kann und ihre Briefkästen nicht wie beispielsweise auf dem Land relativ weit auseinander liegen.

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© Foto: Eduard Weigert

Als Zustellerin müsse man auch ein gutes Gedächtnis haben, sagt Rizzato. Etwa um im Blick zu haben, wer gerade im Urlaub ist und sein Abonnement unterbrochen hat. Zuverlässigkeit sei doch das Wichtigste, findet sie, und darüber freuen sich auch die Leser, die sie beliefert. Wenn sie selber im Urlaub gewesen ist und eine Aushilfe ihre Tour übernommen hat, seien die Listen mitunter etwas durcheinandergeraten. Die beiden Abonnenten, die sie auf ihrer Tour jeden Morgen erwarten und begrüßen, freuen sich dann besonders. "Die sagen dann, wie schön es ist, dass ich wieder da bin."


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Und noch jemand kann es kaum erwarten, bis Rizzato mit ihrem Handkarren auftaucht. In der Hufelandstraße in der Nähe des Nürnberger Nord-Klinikums, gegen Ende ihrer Tour, springt jeden Morgen eine schwarze Katze mit weißen Pfoten aus dem Gebüsch. "Die begleitet mich dann ein Stück, von Anfang an", sagt die 36-Jährige.

Bald nach dieser Begegnung neigt sich ihre Arbeit dem Ende entgegen, gegen 5.30 Uhr steuert Rizzato wieder ihre Wohnung an. Jetzt macht sich auch die Müdigkeit bemerkbar. Rund acht Kilometer Fußweg liegen hinter ihr. Am Abend geht sie spätestens um 21 Uhr ins Bett, doch sechs Stunden Schlaf sind auf Dauer nicht viel. "Wenn ich am Morgen zurück bin, lege ich mich deshalb meistens noch einmal hin", sagt sie.

Aber auch diese Ruhe währt nicht sehr lange. Gegen sieben Uhr weckt sie ihren 14-jährigen Sohn zum gemeinsamen Frühstück vor dem Schulbeginn. Und am frühen Nachmittag wartet auf Rizzato ihr zweiter Job in einem Supermarkt. Alleine vom Gehalt als Zustellerin könnte sie nicht leben, etwa 560 Euro verdient sie damit im Monat.

Viel Zeit für Entspannung oder auch Hobbys bleibt da nicht, wie sie sagt. Bis auf eines, das mit ihrer früheren Arbeit zusammenhängt. "Ich backe sehr gerne", sagt Rizzato. Und darüber freuen sich vor allem zur Weihnachtszeit auch ihre Zusteller-Kolleginnen.

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