Alles nur Klischees? So ticken die Menschen in Bayern

8.4.2021, 05:41 Uhr

Wie ticken die Menschen in Bayern? Wie sind das Lebensgefühl und die wirtschaftliche Lage, wo hapert es bei der Mobilität und Digitalisierung? Die Versicherungskammer Bayern wollte es genau wissen und hat dazu beim Rheingold-Institut eine Studie in Auftrag gegeben. Der Anlass dafür ist das diesjährige Jubiläum "100 Jahre Kommunalversicherer": Da wollte man einfach mehr über die Regionen und ihre Bürger wissen - und mit ihnen ins Gespräch kommen, erklärt Stefan Liebl, Sprecher der Versicherungskammer. Gerade seitens der kommunalen Mandatsträger wie den Bürgermeistern sei das Interesse an den Ergebnissen denn auch groß.


"Heimat.Gefühl": Bayerns schönste Flecken werden gesucht


"Das größte Aha-Erlebnis war es für uns zu sehen, dass es in diesem Vielvölkerstaat Bayern eine derart große Vielfalt gibt und trotzdem auch ein gemeinsames Wir-Gefühl", sagt Studienleiterin Nanda Dukat von Rheingold. "Die Regionen stehen in einem sich selbst beflügelnden Wettstreit miteinander: Man schaut immer auch, was die anderen so machen. In anderen Bundesländern wie etwa Nordrhein-Westfalen gibt es nicht so viele Gruppen. In Bayern gibt es da allerdings auch mehr geschwisterliche Hassliebe." Bei der Frage, was typisch bayerisch ist, haben die Oberbayern das gängige Klischee bestätigt, berichtet Dukat: Tatsächlich werden von ihnen häufig Trachten, Biergärten, üppige Landschaften und große Autofirmen genannt. Ebenso stimmt ihr zufolge auch das Klischee vom Franken, der auf Abgrenzung bedacht ist: "Wir sind anders als die Bayern - dieses Gefühl herrscht hier wirklich, man ist etwas bodenständiger und geerdeter."

Fortschrittliche Mittelfranken

Neben 1800 Online-Befragungen hat das Institut für die Studie auch 144 zweistündige psychologische Interviews geführt – mit ähnlichen Ergebnissen. Die meisten befragten Mittelfranken fühlen sich verwurzelt und wohl in ihrer Region, die Zustimmungsrate liegt bei dieser Frage bei 63 Prozent. Dieses Heimatgefühl ist etwas stärker als im bayernweiten Durchschnitt (58 Prozent Zustimmung). Übertroffen werden sie darin nur von den Oberfranken (68 Prozent). Das Schlusslicht ist, wie auch in vielen anderen Fragen, die Oberpfalz (54 Prozent).

Die Pflege von Traditionen ist den Mittelfranken allerdings deutlich weniger wichtig als den Menschen in anderen Regionen (nur 31 Prozent Zustimmung, der bayerische Durchschnittswert liegt bei 39 Prozent). Sie sind stärker auf digitale Entwicklungen und globale Vernetzung ausgerichtet. "Allmächd", mag jetzt mancher Zweifler denken, aber der Studie zufolge sind die Mittelfranken tatsächlich progressiv.

Wenn es um Arbeit und Mobilität geht, herrscht im Regierungsbezirk Mittelfranken insgesamt eine recht hohe Zufriedenheit. "Die Menschen fühlen sich hier eher mitten in Deutschland als am Rande von Bayern", sagt Dukat. "Gerade von Nürnberg aus gibt es gute Verbindungen durch die Bahn und den Flughafen, und es gibt viele Arbeitgeber in der Region. Die Bereitschaft, zum Arbeitsplatz zu pendeln, ist hier zugleich höher als in anderen Regionen." 58 Prozent der Mittelfranken haben den Eindruck, dass ihr Regierungsbezirk wirtschaftlich gut aufgestellt ist. Deutlich höher ist dieses Gefühl noch bei den Oberbayern (69 Prozent), während die Oberpfalz (45 Prozent) und Oberfranken (35 Prozent) weit abgeschlagen liegen.

Große und bekannte Unternehmen wie Siemens, Adidas, Puma, Datev oder der Playmobil-Hersteller Geobra Brandstätter gelten unter den befragten Mittelfranken nicht nur als potenzielle Arbeitgeber, sondern auch als Wirtschaftstreiber. Zusammen mit der Verkehrsanbindung ergibt das bei vielen das Gefühl, in einer wirtschaftlich starken und gut vernetzten Region zu leben. Für die Zukunft wird allerdings ein stärkerer Ausbau von Alternativen zum Auto gefordert, insbesondere Radwegen und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Auffallend wenig Zustimmung gab es von den befragten Mittelfranken zu der Aussage, dass "zu viele Bürger aus anderen Regionen" in ihre Gegend ziehen: Die Rate liegt hier wie in der Oberpfalz bei 15 Prozent, in Unterfranken sogar nur bei 13 Prozent - und damit weit unter dem bayernweiten Durchschnittswert von 23 Prozent. Die Mittelfranken sind auch gegenüber Menschen aus anderen Kulturen relativ aufgeschlossen. "Die größere Toleranz gegenüber Fremden hat tatsächlich auch historische Wurzeln durch die großen alten Handelsrouten, die durch Mittelfranken verliefen", erklärt Dukat. "In etlichen anderen Regionen war es schon immer so, dass man eher unter sich blieb."


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Mit der aktuellen Entwicklung der Digitalisierung sind die Mittelfranken einigermaßen zufrieden, nur etwa jeder Vierte findet, dass sein Regierungsbezirk hinterherhängt. Das liegt nur leicht unter dem bayerischen Durchschnittswert. Besonders unzufrieden sind in diesem Punkt die Niederbayern. Bei der Digitalisierung von Schulen, das hat die Corona-Krise gezeigt, herrscht aber im gesamten Freistaat noch Nachholbedarf.
"Das Thema Digitalisierung hat in Bayern eine hohe Bedeutung, die große Fläche des Freistaats verschärft die Lage", sagt Dukat. "Es gibt einen Konflikt zwischen der hohen Naturverbundenheit und dem Wunsch nach Ausbau der Infrastruktur."

Hohe Akzeptanz der Corona-Maßnahmen

Einen positiven Einfluss hat das Zusammenspiel von Wirtschaft und Landschaft beim Umgang der Bürger mit der Corona-Krise. "Die relativ hohe Akzeptanz der Corona-Maßnahmen lässt sich damit erklären, dass in Mittelfranken weniger Sorgen um die wirtschaftliche Situation herrschen als in vielen anderen Regionen Deutschlands. Und durch die viele Natur kann man sich in Bayern auch leichter aus dem Weg gehen als in Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet", resümiert Dukat: "Man lebt hier eben, wo andere Urlaub machen."

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