Betriebsseelsorger: Corona als Arbeitnehmer überstehen

16.3.2021, 05:37 Uhr
Roland Hacker, Jahrgang 1967, ist staatlich geprüfter Maschinenbautechniker, Sozialpädagoge und Diakon. Seit 2014 arbeitet er als Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ist dort seit 2020 schwerpunktmäßig zuständig für die Fachstelle Kirche und Handwerk.

© Foto: kda - Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt der ELKB, NN Roland Hacker, Jahrgang 1967, ist staatlich geprüfter Maschinenbautechniker, Sozialpädagoge und Diakon. Seit 2014 arbeitet er als Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ist dort seit 2020 schwerpunktmäßig zuständig für die Fachstelle Kirche und Handwerk.

Herr Hacker, Herr Plentinger, für viele Menschen sind dies Tage voller Unsicherheiten. Unternehmen rätseln über die geschäftliche Entwicklung der nächsten Monate, Manager verkünden Sparprogramme, mancherorts wackeln Arbeitsplätze. Welchen Tipp haben Sie für Beschäftigte in dieser Situation? Beten?


Homeoffice-Pflicht in Kraft: Was, wenn der Arbeitgeber sich sperrt?


Martin Plentinger: Schöne Idee! (lacht) Nein, meine Aufgabe ist nicht, jemanden katholisch zu machen oder fromme Sprüche zu klopfen. Wir sind für die Menschen da, völlig unabhängig, welche Konfession die haben, ob sie überhaupt einer Kirche angehören.

Roland Hacker: Das kann ich auch für uns bestätigen. Unser Blick richtet sich einfach auf die Menschen in der Arbeitswelt. Wir sind für alle da. Aber natürlich sind wir auch Kirche und handeln aus dem Glauben und aus unserem christlichen Menschenbild heraus. Dazu kann auch beten gehören.

Was also raten Sie?

Hacker: Das eine Rezept, das auf alles passt, das gibt es nicht. Dafür ist jeder Fall zu individuell.

Plentinger: Wichtig aber ist, dass man überhaupt mit der Situation umgeht. Mein Tipp ist: Suchen Sie sich einen Partner, einen Spiegel, der Ihnen hilft, Ihre Situation von außen mit anzuschauen, die Lage und die Gedanken zu sortieren. Das kann der eigene Partner sein, ein Freund, oder natürlich auch wir. Dann kann man gemeinsam überlegen, was entlastende nächste Schritte sein könnten. Könnte zum Beispiel ein Schuldnerberater helfen? Oder Rechtsberater?

"Das ist wie mit dem Stau auf der Autobahn"

Und wie schaffe ich es, als Arbeitnehmer in diesen unsicheren Zeiten eben nicht in Ängsten und Zweifeln zu versinken, sondern aktiv und mutig zu bleiben?

Plentinger: Indem ich meinen Blick verändere, darauf schaue, was geht. Und nicht so sehr auf das, was nicht geht. Ja, das ist alleine manchmal schwierig. Aber das ist wie mit dem Stau auf der Autobahn: Ob ich mich davon nerven lasse oder nicht – am Stau selber ändert das gar nichts. Aber bei mir.

Mit welchen Sorgen und Nöten kommen die Beschäftigten zu Ihnen?

Plentinger: Das ist sehr, sehr vielfältig. Häufig sind die Fragen nach der Gerechtigkeit: Wie werde ich behandelt? Wie ist die Führungskultur, werde ich gewertschätzt? Ein weiteres großes Thema sind die Konflikte im Arbeitsalltag. Wie halte ich das aus? Wie gehe ich damit um?

Haben sich die Themen jetzt durch die Corona-Krise ein wenig verändert?

Plentinger: Es kommen natürlich neue Themen hinzu. Das Thema Homeoffice zum Beispiel, das ist sehr ambivalent – von "eigentlich ist es ganz schön" bis "aber im Grunde auch furchtbar". Was vielen zusetzt, sind die fehlenden sozialen Kontakte bei der Arbeit. Dass den Leuten daheim die Decke auf den Kopf fällt, das ist so eine Geschichte, die gekommen ist.


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Hacker: Häufiger ist jetzt auch das Thema Tod und Trauer. Viele kommen in dieser Zeit zudem über ihren Beruf ins Grübeln, fragen nach dem Sinn – und ob sie vielleicht noch mal was anderes machen wollen. Wir bieten deshalb inzwischen auch ein Seminar "berufliche Neuorientierung" an.

Plentinger: Was ich vermeide ist, der vermeintlich Schlaue zu sein, der von Außen kommt und jetzt allen sagt, wie's geht. Das hätten zwar manche gerne. Aber es geht darum zu gucken: Was wollt ihr denn selber? Und wo ist euer Potenzial?

"Wir kommen zu den Beschäftigten"

Wie muss ich mir ihre tägliche Arbeit vorstellen? Tingeln Sie und Ihre Kollegen einmal im Monat alle Betriebe ab und nehmen denen die Beichte ab?

Plentinger: Nein, diese Einzelfall-Seelsorge, über die wir jetzt viel gesprochen haben, die ist nur ein Teil unserer Arbeit. Das können wir in der Breite gar nicht leisten, dafür sind wir viel zu wenige. Der Weg ist in der Regel anders herum: Die Beschäftigten kommen nicht zu uns, sondern wir kommen zu den Beschäftigten. Unsere ersten Ansprechpartner sind in den Betrieben immer die Betriebsräte – die sind ja so etwas wie die Seelsorger vor Ort. Mit denen überlegen wir dann, wo wir unterstützen und helfen können.

Martin Plentinger, Jahrgang 1964, ist Pastoralreferent in der Erzdiözese Bamberg und arbeitet seit 2013 als Betriebsseelsorger im Raum Nürnberg/Erlangen/Herzogenaurach. In dieser Funktion hält der diplomierte Theologe und Pädagoge regelmäßigen Kontakt zu derzeit 80 bis 100 Betrieben - in diesen Tagen auch mal als Spaziergang.

Martin Plentinger, Jahrgang 1964, ist Pastoralreferent in der Erzdiözese Bamberg und arbeitet seit 2013 als Betriebsseelsorger im Raum Nürnberg/Erlangen/Herzogenaurach. In dieser Funktion hält der diplomierte Theologe und Pädagoge regelmäßigen Kontakt zu derzeit 80 bis 100 Betrieben - in diesen Tagen auch mal als Spaziergang. © Katholische Betriebsseelsorge Nürnberg, NN

Hacker: Genauso ist es auch bei uns. Wir sind ein Dienst, der "aufsuchende Arbeit" betreibt. Wir sind Mittler zwischen Kirche und Wirtschaft. Wir bieten beispielsweise auch viele Seminare zu Themen der Arbeitswelt an, bringen Broschüren heraus. Und weil wir momentan coronabedingt weniger persönlich in die Betriebe dürfen, gibt es seit Kurzem ein Arbeitsseelsorge-Telefon [Anm.d.Red.: 0911 / 43 100 200].

Plentinger: Wir stehen immer auf Seite der Beschäftigten. Und da kann ich auch mal das Sprachrohr sein gegenüber dem Arbeitgeber. Ich von der Kirche kann ja frei von der Leber weg reden. Wir treten auch in Betriebsversammlungen auf, verstehen uns da als Mitkämpfer für deren Interessen.

Hacker: Ja, wir beziehen Stellung. Ob das jetzt bei Karstadt/Kaufhof, ob's bei H&M ist, davor bei Siemens: Da stellen wir uns nach draußen zu den Betroffenen. Und wir sind gut vernetzt, können mit unseren Kontakten unterstützen.

Dann bedanke ich mich für das... nein, Herr Plentinger: Sie möchten noch etwas ergänzen?

Plentinger: Ja, ich habe noch mal weiter drüber nachgedacht, weil Sie so sehr nach Tipps gefragt haben. Ich habe vielleicht noch drei für den Umgang mit Druck und Angst in dieser Zeit. 1. Stärken Sie Ihr soziales Netz. Also Glotze aus! Rufen Sie lieber den Freund, die Kusine an, die Sie längst schon hätten anrufen wollen. Überwinden Sie sich. Sie haben doch jetzt die Zeit dafür. 2. Führen Sie ein Dankbarkeits-Tagebuch. Überlegen Sie sich jeden Tag, was heute klasse war oder gelaufen ist, und schreiben Sie es auf. Oder drucken Sie sich die E-Mail mit dem Lob vom Kollegen aus. Wenn Sie das später mal nachlesen, werden Sie staunen, was das für eine Wirkung entfaltet. Und der dritte Tipp ist eben: Suchen Sie sich jemanden zum Reden, um sich klar über Lage und Perspektiven zu werden. Da bieten wir uns gerne als Unterstützung an.

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