Gift in Mandarinen? Experten fordern EU-weites Verbot

4.12.2019, 19:09 Uhr
Gift in Mandarinen? Experten fordern EU-weites Verbot

© Foto: Wolfgang Langenstrassen dpa/lno

Daniela Krehl, Lebensmittelexpertin bei der Verbraucherzentrale Bayern, spricht sich für ein EU-weites Verbot des Pestizids Chlorpyrifos aus. Denn das Mittel sei eine Gefahr für die Gesundheit.

Vor allem Schwangere sollten den Stoff, der sich immer wieder zum Beispiel auf den Schalen von Orangen und Manadarinen findet, vermeiden. Bis es zum Verbot kommt, können Verbraucher laut Krehl vor allem eines tun: Früchte mit Bio-Siegel kaufen. Denn bei diesen Lebensmitteln dürfen chemisch-synthetische Pestizide nicht verwendet werden, erklärt die Expertin.

Konsumenten sollten Hände nach dem Schälen waschen

Dass dieser Ausschluss auch eingehalten wird – dafür sorgt bundesweit das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg mit entsprechenden Monitoring-Verfahren. Produkte mit Bio-Siegel werden oft dreimal geprüft und sind damit die bestüberwachten Lebensmittel, so Krehl: einmal von der Lebensmittelaufsicht, dann von bei der Vergabe des EU-Biosiegels und dann oft noch einmal, um ein Verbandssiegel – zum Beispiel von Demeter, Bioland oder Naturland – zu erhalten.

Auch bei konventioneller Ware können Verbraucher handeln: Da die Giftstoffe auf der Schale zu finden sind, sollten Konsumenten die Hände waschen, nachdem sie die Orange oder Mandarine geschält haben, empfiehlt Lebensmittelexpertin Krehl. Außerdem sei wichtig: Die Schale gehört bei konventioneller Ware wegen der möglichen Giftstoffe nicht in den Bio-Müll.

Gift ist in Deutschland verboten

Sie gehören auf nahezu jeden Weihnachtsteller: Zitrusfrüchte wie Mandarinen und Orangen. Aber wie lange noch? Ab heute beraten die Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel, ob es bei dem fruchtigen Vergnügen bleiben kann. Denn offenbar kommt ein Großteil der Produkte mit Rückständen eines Insektizids daher, das von Fachleuten als hochgefährlich eingestuft wird: Chlorpyrifos.

Das Gift ist in Deutschland verboten, in vielen südlichen Ländern wie Spanien, Griechenland, Italien und Portugal nutzen Landwirte den Stoff allerdings, um Insekten von den Früchten fernzuhalten. Ein Großteil der Mandarinen, Grapefruits und Orangen landen auf deutschen Tellern. Inzwischen kursieren Untersuchungen aus dem Jahr 2017, denen zufolge jede dritte Grapefruit und jede vierte Mandarine, die hierzulande im Regal der Lebensmittelketten und Discounter liegt, mit Rückständen belastet ist.

2005 zugelassen

Chlorpyrifos wurde 2005 in der EU zugelassen. Im Jahr 2011 gab es erste Warnungen von US-Wissenschaftlern, die von Schäden am Gehirn von Kindern im Mutterleib sprachen. Bis dahin gab es nur die Erhebungen, die die Hersteller selbst zur Prüfung vorgelegt und darin kein Risiko erwähnt hatten. Erst 2018, also viele Jahre später, forderte der schwedische Wissenschaftler Axel Mie die Rohdaten dieser industriefinanzierten Erhebungen an.

"Die Daten zeigten, dass schon bei der kleinsten Menge von Chlorpyrifos Hinweise vorliegen, dass das Gehirn verändert ist", sagte Mie gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

"Leider bis heute keine Alternative"

Im vergangenen Sommer schaltete sich auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im italienischen Parma ein und sprach sich für ein vorläufiges Verbot der Substanz aus. Experten legten nämlich weitere Untersuchungen vor, die zeigten, dass bereits geringe Mengen der Stoffe negative Auswirkungen auf die Entwicklung von ungeborenen Kindern haben können. So würden wichtige Bereiche der Großhirnrinde schrumpfen, was später zu Einbußen der geistigen Leistungsfähigkeit führt. Zwar setzte die EU nach dieser Entdeckung die Grenzwerte deutlich herunter – offensichtlich nicht tief genug.

Seitdem ein Anwendungsverbot für die ganze EU im Gespräch ist, laufen die Hersteller in Brüssel Sturm. Das US-Unternehmen Corteva wandte sich schriftlich an die europäischen Zulassungsbehörden und bestritt die neurotoxischen Auswirkungen und den negativen Einfluss auf die Gehirne von Mensch und Tier. Die Schlussfolgerungen der EFSA würden "nicht geteilt", hieß es weiter. Ein anderer Chlorpyrifos-Hersteller ließ schon mal vorsorglich seine Anwälte auf die EU-Kommission los und warnte vor einer Rufschädigung des Wirkstoffs sowie Konsequenzen für die wirtschaftlichen Interessen der herstellenden Konzerne. Die EFSA wurde sogar aufgefordert, warnende Informationen unverzüglich von ihrer Webseite zu entfernen. Auch der europäische Agrarverband Copa-Cogeca in Brüssel reagierte bisher eher zurückhaltend. In einem Schreiben an die Europäische Kommission, aus dem verschiedene Medien zitierten, hieß es, man habe "leider bis heute keine vergleichbare Alternative", um Pflanzenschutz zu gewährleisten. Deshalb bitte die Agrarlobby darum, Chlorpyrifos verwenden zu dürfen, bis eine adäquate Alternative gefunden sei. Andernfalls sei mit erheblichen Einbußen bei der Ernte zu rechnen.

Ringen um eine Mehrheit

Unklar ist, wie sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten nun verhalten wird. Deutschland besteht auf einer Fortdauer und Ausweitung des Verbotes, andere haben sich noch nicht öffentlich positioniert. Allerdings ist für einen sofortigen Anwendungsstopp eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, nötig. Das wären 15 von 28 Ländern. Zumindest aus dem Süden der Union dürfte kaum mit Unterstützung für ein Verbot zu rechnen sein. Die Beratungen der Mitgliedstaaten beginnen heute und sollen bis Freitag dauern.

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