In Nürnberg war für Siemens kein Platz

14.7.2010, 00:00 Uhr
In Nürnberg war für Siemens kein Platz

© André De Geare

„Wir fuhren auf einem Lkw. Da passten wir alle hinein. So kamen wir von Hof nach Erlangen“. Emmy-M. Balzereit ist heute 90 und wohl die letzte Zeitzeugin, aber sie erinnert sich genau an die Ereignisse des Jahres 1945 — als die in Hof gestrandete Siemens-Mannschaft nach Erlangen umsiedelte. Emmy-M. Balzereit war damals selber auf dem Lkw mit dabei gewesen.

Dabei waren Siemens-Abgesandte zunächst von Hof aus nach Nürnberg gefahren, um dort ein geeignetes Grundstück für die Neuansiedlung des starkstromtechnischen Bereichs des Konzerns nach dem Krieg zu suchen. Nürnberg war schließlich zuvor schon ein Standort gewesen. Doch Nürnbergs Oberbürgermeister winkte ab: Er habe keine Räumlichkeiten, war sein Bescheid an die Firmenvertreter.

„Irgend jemand“ — so Balzereit — gab den Siemensianern denn den Tipp: Versucht’s doch mal im weniger zerstörten Erlangen. Dessen Bürgermeister freute sich — und hatte Platz-Angebote. So wurde Erlangen zur provisorischen Zentrale der Siemens-Schuckertwerke und langfristig zur „Siemens-Stadt“ — und nicht Nürnberg. Dazu kam, dass sich in Erlangen auch schon die Siemens-Reiniger-Werke (SRW) niedergelassen hatten.

Büro beim Opernhaus

Zeitzeugin Emmy Balzereit: sie war am Wiederaufbau von Siemens nach dem Weltkrieg beteiligt.

Zeitzeugin Emmy Balzereit: sie war am Wiederaufbau von Siemens nach dem Weltkrieg beteiligt.

Balzereit wurde 1919 in Nürnberg geboren. Sie absolvierte hier die höhere Handelsschule. Auf eine Zeitungsanzeige hin bewarb sie sich beim Vertriebsbüro der Siemens-Schuckert-Werke — das war damals gegenüber dem Opernhaus zu finden. Die Siemens-Schuckert-Werke waren gegründet worden, als 1903 die Siemens & Halske AG den Betrieb der „Elektrizitäts-AG vorm. Schuckert & Co.“ übernahm. Der Sitz war in Berlin-Siemensstadt. 1911/12 hatte Siemens-Schuckert in Nürnberg unter anderem auch im Gebiet nördlich des Rangierbahnhofes und westlich der Katzwanger Straße ein neues Transformatorenwerk, die spätere Trafo-Union, gebaut.

1942 wechselte Balzereit zu einem neuen Arbeitsplatz nach Krakau — heute in der Städtepartnerschaft mit Nürnberg verbunden. Mit dem Fortgang der Kriegsereignisse und dem Näherrücken der Roten Armee wurde der dortige Betrieb aber aufgegeben, und sie kam 1944 nach Nürnberg zurück.

In Schutt und Asche

Balzereit besuchte eines Tages die ehemaligen Kollegen bei Siemens — traf dabei einen ihrer alten Chefs und bekam prompt ein Stellenangebot. Allerdings war die Stelle in Hof. So kam sie fort von Nürnberg, das zunehmend unter den Bombenangriffen litt und schließlich in Schutt und Asche gelegt wurde.

Günther Scharowsky

Günther Scharowsky © Siemens, Mayer

Nach Hof: Dorthin war von Berlin-Siemensstadt aus die Leitung der Siemens-Schuckert-Werke vor den sowjetischen Truppen geflüchtet. Mit dabei war Ernst von Siemens und der Direktor Günther Scharowsky. In Hof sollte nun eine neue Firmenzentrale entstehen. Aus anderen Quellen ist bekannt, dass die Konzernspitze von Siemens schon im Herbst 1944 beschloss, die in Thüringen (Arnstadt, Gera, Rudolfstadt und Sonneberg) angesiedelten Fabriken nach Westen in diejenigen Gebiete zu verlegen, die bei einer Zonenaufteilung durch die Alliierten nicht sowjetisch besetzt werden sollten.

Rund ein Dutzend Personen waren sie am Anfang in Hof, unter den drei Damen war auch Emmy-M. Balzereit. Aber Hof lag zu nahe an der Grenze, die nun mitten durch Deutschland verlief. Deshalb die Raumsuche erst in Nürnberg, und schließlich die Niederlassung in Erlangen, wofür sich Scharowsky entschied.

Rasanter Aufbau

„Der Aufbau war rasant“, erinnert sich Emmy-M. Balzereit. In der offiziellen Siemens-Firmengeschichte heißt es: Günther Scharowsky hatte seine berufliche Tätigkeit nach dem Ersten Weltkrieg bei den Siemens-Schuckertwerken im Entwicklungsbüro der Abteilung Industrie begonnen. 1938 wurde er in den Vorstand des Unternehmens berufen. 1949 wurde Scharowsky zum Vorsitzenden der Siemens-Schuckertwerke ernannt, und Erlangen offiziell zum Hauptsitz der Firma. 1951 übernahm er die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden der Gesellschaft. Er starb zwei Jahre später. Zum 1. Oktober 1966 wurde das gesamte Geschäft der Siemens & Halske AG, der Siemens-Schuckert-Werke und der SRW in die Siemens AG überführt.

Die Ausbreitung von Siemens in Nürnberg ging auch ohne die Entscheidung für Erlangen nach dem Zweiten Weltkrieg voran. Im Juli 1984 feierte Siemens „auf der grünen Wiese“ das Richtfest für seinen bislang letzten neuen Standort am sogenannten Moorenbrunnfeld.

Lieferant für Automatisierung

Es ging darum, von hier aus die Planung, Projektierung und geschäftliche Abwicklung elektronischer Ausrüstungen voranzutreiben. Es war der Start zur Automatisierungstechnik, die heute zu den ganz wichtigen Geschäftsgebieten des Siemens-Konzerns gehört.

Nach den letzten Zahlen hat der Konzern in Nürnberg rund 10000 Beschäftigte, in Erlangen 23000, in Fürth 2500 und in Forchheim 1600.