Kommentar: Mit der D-Mark wäre Deutschland schlechter gefahren

22.11.2019, 12:34 Uhr
Kommentar: Mit der D-Mark wäre Deutschland schlechter gefahren

© Arne Dedert/dpa

Es ist ein spannendes Gedankenexperiment, das die Kollegen vom Spiegel da unternommen haben: Wie wäre die Bundesrepublik die vergangenen Jahre gefahren, hätte sie noch ihre eigene Währung, die D-Mark, gehabt? Ergebnis: Sie wäre schlecht gefahren. Jedenfalls schlechter als mit dem Euro und der Europäischen Zentralbank.

Aber der Reihe nach: Wäre Deutschland bei der D-Mark geblieben, hätte diese seit der Finanz- und Schuldenkrise wegen der deutschen Wirtschaftskraft gegenüber den meisten anderen Währungen stärker an Wert gewonnen, als dies mit dem Euro der Fall war. Eine starke D-Mark hätte jedoch der deutschen Exportindustrie geschadet, deren Waren für die Käufer im Ausland plötzlich teurer geworden wären. Um die daraus hervorgehenden Verwerfungen abzumildern, hätte die Bundesbank die Zinsen kräftig senken müssen - und zwar stärker als die EZB dies tat.

"Die Deutschen würden heute also nicht über die Nullzinspolitik der EZB klagen, sondern über die Negativzinspolitik der Bundesbank", schreibt der Spiegel. Dazu wären die Bundesbürger aufgrund der Probleme der Exportindustrie wohl weniger wohlhabend als mit dem Euro, der mitverantwortlich ist für zehn Jahre des Aufschwungs und der Rekord-Tiefstände bei der Arbeitslosigkeit. Wer Zweifel an der Stichhaltigkeit dieser Argumentation habe, müsse bloß in die Schweiz blicken.

Die Deutschen sparten einfach stur weiter

Als Politiker gegenüber unzufriedenen Wählern solche Argumente ins Feld zu führen, ist freilich wenig aussichtsreich. Zumindest weniger aussichtsreich, als ihnen - wie nun der bayerische Ministerpräsident Markus Söder - einfach die Hoffnung zu machen, mit ein bisschen Steuergeld als Ausgleich für Negativzinsen werde schon wieder alles gut.

Was oft vergessen wird: Die EZB hat sich die Rolle der Retterin des Euroraums nicht ausgesucht. Ihr langjähriger Präsident Mario Draghi entschied sich erst dann zu den massiven Zinssenkungen und Ankäufen von Staatsanleihen, als immer offenbarer wurde, dass die Politik ihrer Verantwortung, die Finanz- und folgende Schuldenkrise zu lösen, nicht nachkommen würde. Das Primat der Politik wurde also nicht von der EZB ausgehebelt - sondern von der Politik selbst.

 

 

Statt sich auf diese veränderte geldpolitische Großwetterlage einzustellen, sparten viele Deutsche stur weiter - manche tun es bis heute. Dabei hätten sie die Chancen, die eine solche Niedrigzinsphase bringt, auch ergreifen können. Wie jene, die sich die niedrigen Zinsen zunutze machten, um sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Und deren Finanzierungen trotz hoher Immobilienpreise keineswegs so riskant sind, wie oft behauptet wird.

Auch der deutsche Staat gehört zu diesen Gewinnern der EZB-Politik: Dass der Bundestag in Kürze die siebte Schwarze Null in Folge beschließen wird, hat wenig mit einer eisernen Haushaltsdisziplin der Bundesregierungen zu tun - und viel mit den Niedrigzinsen.

Den Zeitpunkt zum Ausstieg verpasst

Natürlich heißt das unterm Strich nicht, dass alles so bleiben soll: Die EZB hat es verpasst, rechtzeitig den Ausstieg zu finden aus ihrer verabreichten Medizin von Niedrigzinsen und Anleihekäufen. Eine Medizin, die für die Behandlung akuter Krisen effektiv ist, die bei jahrelanger Einnahme im Fall einer erneuten Krise aber nicht mehr wirkt. Was man nun, da das Wachstum lahmt, in der Eurozone gerade mitansehen kann. 

Die Kritik, viel zu lange an seinem Kurs festgehalten zu haben, muss sich Mario Draghi also in der Tat gefallen lassen. Sie ist auch deutlich stichhaltiger als der Stammtisch-Vorwurf, die EZB sei der Feind der Deutschen. Denn dieser Vorwurf wird nicht richtiger, je öfter er wiederholt wird.

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