Produktkatalog: Einkaufen bequem am Küchentisch

17.6.2010, 00:00 Uhr
Produktkatalog: Einkaufen bequem am Küchentisch

© Spielzeugmuseum Nürnberg

Es herrscht Umbruchstimmung damals, in der Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In Amerika übt sich mit den USA gerade die erste Demokratie modernen Zuschnitts in ihren ersten Schritten, und auch im alten Europa bläst immer stärker der Wind der Aufklärung, bricht in Frankreich die Große Revolution aus, veröffentlicht in Deutschland Immanuel Kant seine Hauptwerke.

Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in dieser Phase eines sich langsam entwickelnden Bürgertums und der steigenden Alphabetisierungsquote der junge Nürnberger Galanteriewarenhändler Georg Bestelmeyer ebenfalls auf einen revolutionären Gedanken kommt — zumindest für die Welt der Verkäufer. Jahrhundertelang saßen die in ihren Geschäften, dekorierten Schaufenster, und warteten ansonsten darauf, dass die Kundschaft kommt. Zu ihnen.

Doch warum eigentlich warten? Bestelmeier belässt es nicht bei der Frage, er handelt. 1793 ist es so weit: Der 29-Jährige veröffentlicht unter dem Titel „Pädagogisches Magazin zur lehrreichen und angenehmen Unterhaltung für die Jugend“ einen Katalog mit Waren aus seinem Sortiment, der sich direkt an die Kunden richtet — etwa DIN-A6 groß, mit Bildern, Produktbeschreibung und Preisen. Insgesamt 97 Artikel auf 24 Seiten. Eine entscheidende Weiterentwicklung damals üblicher Verzeichnisse, die das Angebot lediglich trocken auflisten.„Die innovative Idee dahinter ist, die eigenen Waren nicht mehr nur über die großen Messen in Frankfurt und Leipzig, Handlungsreisende oder den eigenen Laden zu verkaufen, sondern direkt an den Endverbraucher zu gehen, ihn in der Wohnung auf dem Küchentisch zu erreichen“, sagt Helmuth Schwartz, Leiter des Spielzeugmuseums. „Es ist ein Paradigmenwechsel.“

Der allererste ist der Sohn eines Brauers mit seinem Katalog zwar nicht. Aus dem Jahr 1791 die „Weitläufige Beschreibung des pädagogischen Kabinetts, welches ich zur Erleichterung der Erziehung und zur lehrreichen Beschäftigung der Jugend angelegt habe“, von Johann Siegmund Stoy, ebenfalls aus Nürnberg, überliefert. Darin steht auf den ersten beiden Seiten, wie man bestellt, inklusive Währungs-, Umrechnungsformeln und Portokosten, schreibt Anke te Heesen in ihrem Buch „Der Weltkasten“. Dass bei vielen Experten heute trotzdem Bestelmeyer als Vater des Produktkatalogs gilt, liegt daran, dass er die Idee am konsequentesten vorantreibt - mit großem Erfolg. Anfang des 19. Jahrhunderts ist er „der bedeutendste Spielwarenhändler in Deutschland“, betont Heike Hoffmann in ihrem Werk „Erziehung zur Moderne“.

"Ein Pionier mit innovativen Ideen"

Bundesweit schaltet der Nürnberger Anzeigen für seinen Katalog, „sogar Goethe hat sich nachweislich einen besorgt“, weiß Schwartz. „Und nachdem er ja viele Enkel hatte, hat er sicher auch etwas bestellt.“ Wurden anfangs vor allem Spielzeug wie Ritterburgen aus Holz und Galanteriewaren wie Zimmerspringbrunnen angepriesen, kommen bald neue Angebote wie Möbel, Tapeten und Töpfe dazu. Der Katalog von 1823 umfasst schon stolze 1350 Artikel.

Produktkatalog: Einkaufen bequem am Küchentisch

© Stefan Hippel

Nur auf die Karte „Versandhandel“ setzt Bestelmeyer freilich nicht. 1808 kauft er das Barfüßer-Kloster, reißt es teilweise ab und erbaut um die Reste herum das „Bestelmeyersche Magazin“, eine Art erstes Kaufhaus von Nürnberg. Stadtführer der damaligen Zeit preisen es als Touristenattraktion. Heute residiert auf dem Gründstück in der Königstraße die HypoVereinsbank.

1829 stirbt Georg Bestelmeyer als reicher Mann. „Er war ein Pionier mit innovativen Ideen, hat eine ganz neue Vertriebsform geschaffen“, würdigt Schwartz. „Die Erfindung des Produktkatalogs ist zweifellos eine Sternstunde der Nürnberger Wirtschaftsgeschichte.“