Siemens hebelt Leiharbeit-Vereinbarung aus

29.3.2010, 00:00 Uhr
Siemens hebelt Leiharbeit-Vereinbarung aus

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Geht es hier nun um Arbeitnehmerüberlassung oder nicht? Richter Wolfgang Bär wirkte verwirrt. Es kann allerdings auch sein, dass er nur so tat, um ein bisschen zu provozieren. Denn genau das ist schließlich die Kernfrage des Prozesses, die am Ende das Gericht selbst zu beantworten haben wird. Lässt sich die Stellung, die Kläger Peter Meier (Name geändert) im Elektronikkonzern Siemens innehatte, mit der eines Leiharbeiters vergleichen?

Werkvertrag unterschrieben

Meier jedenfalls sieht das so, obwohl sein eigentlicher Brötchengeber keinen Leiharbeitsvertrag, sondern einen Werkvertrag mit Siemens unterschrieben hatte. Der IT-Berater war jedoch extra für den Auftrag bei Siemens eingestellt worden. Achteinhalb Jahre lang hat er immer in derselben Nürnberger Niederlassung gearbeitet und mit einer Kollegin die Software für Gehaltsabrechnungen betreut. Seine Weisungen bekam er von Siemens, er aß in der Siemens-Kantine, er stimmte seinen Urlaub mit Siemens ab. Seit sein offizieller Arbeitgeber den Auftrag verlor - aus Gründen, die nichts mit Meier zu tun haben -, arbeitet er kurz. Die Anwältin der Firma spricht unverhohlen darüber, dass seine betriebsbedingte Kündigung geplant ist.

Eigentlich ist ein Werkvertrag jedoch ein Vertrag über die Herstellung eines bestimmten Produktes. Einen klassischen Werkvertrag schließen Bauherren mit dem Maler, der die Haus-Fassade streicht. Ist das Werk beendet, wird es abgenommen und bezahlt; der Maler sucht einen neuen Auftraggeber. Das Werk, das Meier für Siemens herstellte, sollte die Software-Anwendung sein. Es wurde nie beendet und nie abgenommen. Allein das zeige, dass es sich um einen Schein-Werkvertrag gehandelt habe, argumentieren er und seine Anwältin Désirée Cimmino.

Meier möchte daher nachträglich als Leiharbeiter eingestuft werden. Die Vorteile: Im Sommer 2009 haben Siemens und die IG Metall eine Vereinbarung über den Umgang mit Leiharbeitern geschlossen, wie es die Gewerkschaft inzwischen in 500 Betriebsvereinbarungen festgeschrieben hat. Demnach bekommen Zeitarbeiter »equal pay«, werden also nach dem guten Tarifvertrag der Metall- und Elektrobranche bezahlt.

Ein Schlupfloch

Außerdem haben sie im Falle Siemens nach 18 Monaten Einsatz Anspruch auf eine unbefristete Festanstellung. Für Kollegen, die über Werkverträge kommen, gilt all das nicht. Werkverträge bieten daher ein Schlupfloch, um die Vereinbarung zu umgehen.

Der Betriebsrat des Bereichs IT Solutions and Services in Erlangen hat festgestellt, dass dort auf je zwei Leiharbeiter ein Kollege mit Werkvertrag kommt. Deutschlandweit beschäftigte der Konzern nach Auskunft von Konzernsprecherin Silke Reh 7000 Leiharbeiter im September 2009. Eine neuere Zahl gibt es nicht; die Tendenz ist jedenfalls rückläufig. Zahlen über die Werkverträge liegen der Sprecherin nicht vor. Auch die Gewerkschaft IG Metall muss passen. Denn während Leiharbeiter vom Betriebsrat mitbetreut werden dürfen, gilt das für Kollegen aus Werkverträgen nicht.

Musterprozess

Schein-Werkverträge ärgern die IG Metall schon länger - nicht nur bei Siemens, sondern auch bei anderen Firmen. Das erklärt der Nürnberger Gewerkschaftssekretär Rudi Lutz. »Die Frage von Schein-Werkverträgen ist aber immer schwierig zu beweisen«, sagt er. Bei Siemens habe das Problem gerade wegen der Vereinbarung über die Leiharbeiter »besondere Brisanz«: Es schafft eine Ungleichbehandlung von im Alltag gleichgestellten Kollegen.

So gesehen führt Peter Meier einen Musterprozess. Er will mit seiner Klage am Nürnberger Arbeitsgericht erst einmal die Auskunft über das Gehalt seiner bei Siemens angestellten Kollegin erkämpfen. Als nächster Schritt käme die Forderung nach gleicher Bezahlung. Und dann die nach unbefristeter Festanstellung. Weiterverhandelt wird im Juni.