Über Europa türmt sich ein ganz großes Gewitter auf

8.12.2014, 17:38 Uhr
Über Europa türmt sich ein ganz großes Gewitter auf

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Dem Anschein nach ist es recht ruhig geworden um die Schuldenkrise in Euroland. Ist alles ausgestanden?

Heiner Flassbeck: Der Anschein trügt, die Krise ist noch lange nicht überwunden. Wir haben nirgendwo in Europa einen Aufschwung, die Arbeitslosigkeit bleibt unerträglich hoch, sogar in Deutschland hat sich die wirtschaftliche Situation deutlich verschlechtert. Und wenn wir nichts tun, wird die Krise sogar noch heftiger ausbrechen, als wir das bisher erlebt haben.

Was befürchten Sie?

Flassbeck: Mir macht insbesondere die Situation in den großen Euro-Ländern Italien und Frankreich Sorgen. Für beide Staaten sehe ich keine Lösung ihrer Probleme, weil hier die falschen Weichenstellungen erfolgen.

Nämlich?

Flassbeck: Die dort eingeleiteten sogenannten Strukturreformen sind doch nichts anderes als Lohnkürzungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaften zu verbessern. Aber genau dieses Mittel ist gefährlich, wie wir in den Krisenländern erleben mussten. Spanien und Griechenland haben die Löhne absolut um 20 Prozent gekürzt. Und das Ergebnis ist eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Das ist gründlich in die Hose gegangen, weil die Binnennachfrage eingebrochen ist.

Was heißt das übertragen auf  Frankreich und Italien.

Flassbeck:  Wenn man solche Lohnkürzungen jetzt von Paris und Rom verlangt, dann werden das die Regierungen dort politisch nicht überleben. Schon jetzt zeigt sich doch, dass rechtsradikale, nationalistische Parteien nach oben gespült werden. Da türmt sich ein ganz großes Gewitter über Europa auf, dagegen war das bisher Erlebte  nur ein kleiner Regenschauer.

Welche Rolle spielt Deutschland in dem Szenarium?

Flassbeck: Deutschland, das sich gerne als Musterschüler in Euroland präsentiert,  verschärft die Situation seit Jahren. Wir haben aktuell einen Leistungsbilanzüberschuss von 200 Mrd. €. Das heißt, die deutsche Wirtschaft lebt auf Kosten anderer Länder, die sich in dieser Größenordnung verschulden müssen, um unsere Waren zu kaufen. Ohne diesen Effekt würde die deutsche Wirtschaft sofort zusammenbrechen. Ein solches Modell kann man doch nicht auf andere Länder in Europa übertragen. Kanzlerin Angela Merkel irrt, wenn sie sagt, wir haben Wachstum ohne Schulden. Die Schulden sind  da, es sind nur die Schulden der anderen.

Über Europa türmt sich ein ganz großes Gewitter auf

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Was muss passieren?

Flassbeck: Wir müssen  gegensteuern und unsere Exportabhängigkeit zurückführen, und zwar behutsam auf die nächsten 15 Jahre gestreckt, das aber ab sofort. Wenn wir nichts tun, dann wird diese Umkehr plötzlich und über Nacht kommen, nämlich dann, wenn in Europa die an die Macht gekommenen antieuropäischen Regierungen mit Handelsschranken genau das erzwingen. Das würde die deutsche Wirtschaft ins Mark treffen. Wir müssen zu deutlich höheren Löhnen kommen, um die Binnennachfrage anzukurbeln und die Importe zu erhöhen. Das ist alternativlos.

Reicht das denn alleine aus, um die Ungleichgewichte zu beseitigen?

Flassbeck: Sicher nicht. Der Prozess muss durch eine expansive Finanzpolitik unterstützt werden. Andere haben das längst begriffen: Die EZB, die neue EU-Kommission — nur Deutschland beharrt weiter auf strikter Sparpolitik.

Es war aber doch die von Ihnen geforderte expansive Finanzpolitik, die erst in die europäische Schuldenkrise geführt hat.

Flassbeck: Das war nie eine Staatsschuldenkrise, höchstens eine Schuldenkrise der Banken.

Wird es den Euro in zehn Jahren noch geben?

Flassbeck: Ich bin da inzwischen skeptisch. Die Zeit für die Umkehr wird knapp. Deutschland muss endlich begreifen, dass es Fehler gemacht hat. Ich lebe in Frankreich, wenn dort nach noch zwei weiteren Jahren Stagnation Wahlen stattfinden werden, dann fürchte ich, wird das Le-Pen-Lager an die Macht kommen. Und dann ist Europa über Nacht am Ende.

Ungleichgewichte gibt es nicht nur zwischen Ländern, auch bei der Einkommensverteilung läuft einiges aus dem Ruder, und das schon seit Jahren. Warum ändert sich nichts?

Flassbeck: Das liegt in erster Linie an der seit Mitte der 70er Jahre hohen Arbeitslosigkeit, die auf die Löhne drückt. Zusätzlich schürt die seit drei Jahrzehnten vom Staat praktizierte Angebotspolitik die Ungleichverteilung, weil sie Unternehmen und die oberen Einkommen immer mehr entlastet.

Was muss geschehen, um diese Entwicklung zu stoppen?

Flassbeck: Wir müssen endlich begreifen, dass die zunehmend auseinandergehende Schere bei den Einkommen nicht notwendige Begleiterscheinung unserer Marktwirtschaft ist. Gerade in den zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg im Bretton-Woods-System haben wir doch erlebt, dass auch die breite Masse Anteil haben kann an Wachstum und Produktivitätsfortschritt, nicht nur  einige wenige. Dazu müssen wir wieder kommen. Die Menschen, die  für die Unternehmen produzieren, müssen  finanziell in die Lage versetzt werden, diese Produkte auch kaufen zu können. Das ist eigentlich im ureigenen Interesse der Betriebe. Doch die Politik und die Unternehmer begreifen das nicht. Deswegen haben wir weltweit einen zunehmenden Druck auf die Löhne, der verhindert, dass die Marktwirtschaft funktionieren kann.

Um es konkret zu machen: Stellen Sie sich vor, sie seien König von Europa, was würden Sie sofort per Dekret ändern?

Flassbeck: Ich würde sofort in Deutschland jährliche Lohnsteigerungen von fünf bis sechs Prozent verordnen, in Frankreich und Italien vielleicht ein bisschen weniger. Ich würde zweitens sofort als Staat mehr Schulden machen und meine Behörden zwingen, mehr in die Infrastruktur zu investieren.  Und drittens würde ich unmittelbar zu einer normalen  Besteuerung von Unternehmen zurückkehren, damit Betriebe nicht mehr  im Geld schwimmen, sondern zur Bank gehen müssen, um ihre Investitionen mit Krediten zu finanzieren.

Heiner Flassbeck spricht am Dienstag, 9. Dezember, um 18 Uhr bei der DGB-Veranstaltung „Zeitenwechsel“ in Nürnberg, Uhrenhaus, Sandreuthstraße 29.

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