Vor 25 Jahren: Als Inselkammer Tucher übernahm

25.12.2019, 05:58 Uhr
Wurde zu einer Erfolgsgeschichte für Tucher: Die alteingesessene Fürther Marke Grüner wurde samt dem dazugehörigen Brauhaus wiederbelebt und entwickelte sich zum Verkaufsschlager.

© Michael Matejka Wurde zu einer Erfolgsgeschichte für Tucher: Die alteingesessene Fürther Marke Grüner wurde samt dem dazugehörigen Brauhaus wiederbelebt und entwickelte sich zum Verkaufsschlager.

Tucher, Bratwursthäusle, Inselkammer: Im Drama um die ungewisse Zukunft der Traditionsgaststätte im Schatten der Nürnberger Sebalduskirche sind alle Zutaten vorhanden, die die Emotionen der fränkischen Bierliebhaber hochkochen lassen. Im konkreten Fall sucht Tucher aktuell einen neuen Pächter, der das Lokal auch in Zukunft bewirtschaftet.

Doch so ganz frei im Handeln ist die Brauerei nicht. Denn auch Tucher hat das Gasthaus nur gepachtet – bis zum Jahr 2024 von der Münchner Dr. Inselkammer Vermögens GbR. Der gehört die Immobilie. Wie viele andere Gasthäuser in Nürnberg und Umgebung.

Die Geschichte dazu beginnt im Jahr 1994. Damals – vor nunmehr 25 Jahren – hat der Münchner Unternehmer Hans Inselkammer, der auch an Augustiner beteiligt ist, Tucher gekauft. Kurz zuvor hatte er schon Patrizier fast komplett übernommen. Ein Münchner steigt in der Nürnberg-Fürther Brauerlandschaft ein: Nicht alle fanden das gut. Wird hier die fränkische Bierkultur durch eine oberbayerische Annexion in Gefahr gebracht? Und das ausgerechnet an einem Ort, der in Sachen Bier Superlative zu bieten hat.

Größter Bier-Exporteur

Schließlich war Nürnberg im 19. Jahrhundert der größte Bier-Exporteur in Bayern. Im Jahr 1870 verschickten die lokalen Brauereien – allen voran die Tucher’sche Brauerei – 100 000 Hektoliter an durstige Kehlen jenseits der Grenzen. Zugute kam den Brauern dabei, dass 1858 das Schwefelverbot für Hopfen aufgehoben wurde, sagt Regine Franzke vom Nürnberger Museum Industriekultur. Damit sei das Bier länger haltbar gewesen – und aus diesem Grund für die Ausfuhr geeignet. Ein Vorteil für die Brauer, ein Nachteil für die Luft: Auf Stadtansichten von damals sind gelbe Rauchwolken zu sehen, die vom Schwefel stammen, berichtet Franzke.

Die rasante Entwicklung der Brauereien in Nürnberg lässt sich auch an den Beschäftigten ablesen: Gab es in der Stadt 1811 lediglich 100 Brauereiarbeiter, waren es 1890 mehr als viermal so viele, so Franzke. Die Kuratorin beschreibt zugleich allerdings auch einen gegenläufigen Trend: Die Zahl der Braustellen in der Stadt hat sich von 34 im Jahr 1806 auf fünf im Jahre 1925 verringert. Zu dieser Handvoll zählten neben Tucher das Brauhaus Nürnberg, Lederer, Reif und Zeltner.

In den roten Zahlen

Zurück zum Einstieg Inselkammers 1994: Von nun an gehörten dem Münchner die beiden verbliebenen Platzhirsche in Nürnberg und Fürth, die in Nordbayern zusammen auf einen Marktanteil von elf Prozent kamen. Tucher war mit 340 Mitarbeitern und einem Hektoliterausstoß von knapp einer Million das größere Unternehmen. Patrizier hatte zwar etwa die gleiche Kapazität beim Ausstoß, war aber deutlich schlechter ausgelastet und hatte rund 100 Beschäftigte. Die Brauerei hatte zuvor seit Jahrzehnten zur Schickedanz-Gruppe gehört.

Fest steht: Tucher stand damals tief in den roten Zahlen. Ein Verlust in Millionenhöhe hat die Brauerei, die mehrheitlich zur Ersten Kulmbacher Actien-Brauerei (EKU) gehörte, schwer belastet. Der Umsatz sank, die Zahl der Mitarbeiter wurde rapide reduziert.

Inselkammer kam in dieser Situation als Retter. Die Mitarbeiter seien nach Tarif bezahlt worden, die Braumeister durften hochwertige Rohstoffe verwenden. Bei vielen in der Brauerei habe Aufbruchstimmung geherrscht, berichtet einer, der die Branche seit langem beobachtet.

Was allerdings weniger gut ankam: Der neue Eigentümer Inselkammer hat Verwaltung und Logistik der vorher getrennten Unternehmen Patrizier und Tucher zusammengelegt. Erklärtes Ziel Inselkammers war es auch, mit weniger Marken auf den Markt zu treten. Letztendlich habe vor allem Patrizier gelitten: Die Marke sei ins "Preiseinstiegssegment" degradiert worden, erzählt der Branchenkenner.

Neun Jahre nach dem Einstieg in Franken änderte Inselkammer dann seine Pläne: Tucher stand zum Verkauf. Im Sommer 2003 wurde die Übernahme durch die Brau und Brunnen AG besiegelt. Die Dortmunder waren vor allem am Tucher Weizen interessiert. Denn ein Weißbier fehlte noch im Sortiment der Jever-Anbieter. Entsprechend groß waren die Erwartungen: Der Ausstoß sollte deutlich ausgeweitet werden. Auch von zusätzlichen Mitarbeitern war die Rede.

Doch aus den großen Plänen wurde nichts. Denn kurz nach der Tucher-Übernahme wurde Brau und Brunnen selbst geschluckt: vom Oetker-Konzern, dessen Getränketochter Radeberger Gruppe mit Schöfferhofer selbst eine auf dem Markt fest etablierte Weizen-Marke besaß.

Mit dem Verkauf an Brau und Brunnen wechselte auch die Geschäftsführung: Jannik Inselkammer, Hans Inselkammers Sohn, übergab das Regiment an Fred Höfler und Martin Leibhard. Glaubt man den Erzählungen von Branchen-Insidern, war Inselkammer junior fix und fertig, als er von den Tucher-Verkaufsplänen seines Vaters erfuhr, verhindern konnte er sie aber nicht.

Geteilte Meinungen

Und sein Ausscheiden bedauert haben auch nicht alle. So hatte der Nürnberger Altstadthof-Brauer Reinhard Engel, der mit Tucher aktuell im Clinch um das "Original Nürnberger Rotbier" liegt, schon damals keine allzu gute Meinung von dem großen Wettbewerber und seinem Eigentümer.

Inselkammer sei in Nürnberg einmarschiert, habe hier seine Statthalter installiert und sei dann wieder gegangen: "Doch was er hinterlässt, ist nur verbrannte Erde", sagte Engel damals dieser Zeitung. Eine Meinung, die nicht alle vertreten. Denn schließlich hat Inselkammer vor dem Verkauf an Brau und Brunnen auch viel in Nürnberg investiert.

Die Tucher-Immobilien hat Inselkammer unterdessen behalten: eine mutmaßlich äußerst lukrative Entscheidung. Allein die Umwandlung des einstigen Tucher-Geländes in der Nürnberger Nordstadt in ein Wohnareal dürfte sich in barer Münze ausgezahlt haben.

Wie viele Immobilien die Inselkammer Vermögens GbR derzeit in Franken besitzt und wie viel davon sie an Tucher verpachtet hat – dazu hüllen sich die Münchner in Schweigen. Viele seien es nicht mehr, sagt Martin Leibhard vage, der nach seinem Ausscheiden bei Tucher zu Inselkammer gewechselt ist. Was auf dem Gelände der jüngst geschlossenen – zu Tucher gehörenden – Lederer-Brauerei in der Nürnberger Sielstraße passiert, sei noch "in der Schwebe", so Leibhard. Eine Braustätte der – zu Inselkammer gehörenden – Augustiner-Brauerei sei aber nicht geplant.

Tucher gibt sich ebenfalls zugeknöpft. Zu den "geschäftlichen Beziehungen zur Familie Inselkammer" will sich Marketingchef Kai Eschenbacher nicht äußern.

Erfolg mit Grüner

Mitteilsamer ist die Brauerei, wenn es um ihre Bier-Marken geht. Und tatsächlich hat Tucher einen Coup gelandet, als die Brauerei 2011 das Grüner-Bier wieder auferstehen ließ. Das Fürther Urgetränk schlug nicht nur bei den lokalpatriotischen Bierliebhabern ein, auch über die Stadtgrenzen hinaus entwickelte sich Grüner schnell zum Verkaufsschlager. Heute trägt die Marke einen erheblichen Teil zum Tucher-Gesamtausstoß bei – und hat im Grüner Brauhaus in der Fürther Innenstadt eine Art neue Heimat gefunden. Dort lassen sich Stammkunden und eine Kartelrunde ihr Bier schon am Nachmittag schmecken, später zieht Fürther Prominenz an der fröhlichen Runde vorbei und nimmt weiter hinten im Saal Platz.

Wie es mit Prominenz und geselligen Runden im Nürnberger Bratwursthäusle weitergeht – das ist noch ungeklärt. Bei Tucher heißt es dazu nur: "Wir sind sehr zuversichtlich, in Kürze unsere partnerschaftlich geführten Gespräche erfolgreich zu einer Lösung zu führen, die gut für die Belegschaft und die vielen Freunde des Bratwursthäusles ist."

Verwandte Themen


4 Kommentare