Beruf mit Imageproblem

Zu wenige Lkw-Fahrer: Droht in Bayern auch ein Versorgungskollaps?

27.10.2021, 10:55 Uhr
In Deutschland fehlen seit Jahren Berufskraftfahrer.

© Jens Büttner, NNZ In Deutschland fehlen seit Jahren Berufskraftfahrer.

Wie viele Fahrer fehlen in Deutschland und Bayern?

"Bereits heute fehlen in Deutschland 60.000 bis 80.000 Berufskraftfahrer", rechnet der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) vor. Demnach gehen jedes Jahr etwa 30.000 Berufskraftfahrer in Rente, es kommen aber nur etwa 17.000 Berufseinsteiger nach, von denen jedoch nicht alle in der Logistikbranche arbeiten, sondern zu Bauunternehmen oder in Industrie und Handel anheuern. "In Bayern fehlen aktuell zwischen 8000 und 9000 Lkw-Fahrer", schätzt Sebastian Lechner vom Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT). Die Speditionen in der Region bestätigen dieses Bild. "Wir suchen ständig zwischen zehn und 20 Fahrer", sagt Christian Hackl, Leiter des Zentralen Fuhrparkmanagements der Geis Gruppe. "Der Negativtrend bestimmt schon seit einigen Jahren unsere Branche", ergänzt Marcel Schaal, Marketingleiter der Herzogenauracher Spedition Hans Wormser.

Droht Deutschland also ein ähnlicher Versorgungskollaps wie England?

BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt gibt Deutschland noch zwei bis drei Jahre: „Wir warnen davor, dass wir auch in Westeuropa sehenden Auges in einen Versorgungskollaps laufen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen daher endlich wach werden und dem Fahrermangel in einem gesamtgesellschaftlichen Kraftakt entschlossen entgegentreten.“ Auch Lechner sieht aktuell noch keine Versorgungsprobleme, gibt aber zu bedenken, dass es insbesondere im Vorweihnachtsgeschäft zu Lieferverzögerungen und teilweise zu Ausfällen etwa bei Elektronik und in Baumärkten kommen könne. "Das beruht nicht nur auf dem Fahrermangel, sondern ist Folge von Lieferengpässen bei Rohstoffen und Containern aus Übersee", so der Verbandsfunktionär.

Warum sind auf Deutschlands Autobahnen trotz des Fahrermangels mehr Lkw unterwegs denn je?

Sebastian Lechner vom LBT führt die momentane Situation vor allem auf Aufholeffekte nach Corona zurück. "Die Industrie hat erfreuliche Auftragseingänge. Der Online-Handel boomt seit Jahren und hat sich durch Corona nochmal verstärkt. Und es gibt wohl auch eine gewisse Vorweihnachtspanik, also Ängste, dass die Bestellungen nicht rechtzeitig ausgeliefert werden können", sagt er. Erhöhtes Aufkommen gebe es auch, weil die Bauindustrie gut läuft und der stationäre Handel, Gastronomie, Messen und der Reisebereich wieder in Gang kommen und beliefert werden müssen. Um Verzögerungen zu vermeiden, werde "im Moment auch alles getan, potenzielle Rentner zu ermuntern, noch ein bisschen weiterzumachen", erzählt Lechner.

Wie können die vielen Aufträge trotz der Engpässe gestemmt werden?

Wo es gehe, würden Subunternehmer eingesetzt, und viele Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer aus Osteuropa, so Lechner. "Wir haben das Thema seit vielen Jahren auf der Agenda und viele Maßnahmen umgesetzt, entsprechendes Fahrpersonal zu rekrutieren. Dazu gehören Zeitarbeiter und Subunternehmen", sagt Christian Hackl von der Geis Gruppe. Ohne die Fahrerinnen und Fahrer aus ganz Europa würde der eine oder andere Cockpit leer bleiben. In Herzogenaurach ist "eine eigene Wormser-Akademie in Kooperation mit einer Fahrschule in Planung", erzählt Marcel Schaal. Hier soll ab Ende des Jahres Fahrpersonal ausgebildet werden, das aktuell noch ohne Besitz eines Lkw-Führerscheins ist. "Nach der internen Ausbildung und bestandenen Prüfungen sowie dem Lkw-Führerschein geht es dann auf Achse."

Warum gibt es zu wenige Berufskraftfahrer?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Einer seien die schlechten Arbeitsbedingungen. Laut Sebastian Lechner finden die Fahrer an den Autobahnen abends oft keinen vernünftigen Parkplatz. Hinzu kämen Staus und Stress auf der Autobahn und an den Laderampen. Darüber hinaus "konnte aufgrund des Wettbewerbsdrucks in den vergangenen Jahren zum Teil die Lohnentwicklung nicht mit anderen Branchen Schritt halten. Der Lkw-Führerschein ist zudem wegen diverser Zusatzanforderungen zu teuer geworden und die Wertschätzung des Berufs in der Öffentlichkeit ist gesunken", sagt der Verbandssprecher. Der Lkw werde oftmals nur noch als Stauverursacher und Umweltverschmutzer wahrgenommen. Weiterhin fehle das Gefühl der Bevölkerung für die diffizile Dienstleistung, die hinter jedem Transport steckt: "Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben sich an den günstigen Transport inklusive Rücksendung bei Nichtgefallen gewöhnt."

Wie lassen sich diese Probleme lösen?

Für die Lösung des Fahrermangels gibt es laut BGL keinen schnellen Königsweg. "Vonseiten der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit muss ein Umdenken einsetzen und mit unterschiedlichen Maßnahmen kombiniert werden", heißt es. Konkret geht es um mehr Wertschätzung, bessere Arbeitsbedingungen, weniger Bürokratie, Förderung bei der Nachwuchsgewinnung und erleichterte Fachkräftezuwanderung. Das Unternehmen Dachser mit Logistikzentrum in Nürnberg engagiert sich laut einer Sprecherin bei der Aus- und Weiterbildung. Zudem investiere es wie andere Speditionen in die Modernisierung des Fuhrparks, Gesundheitsangebote sowie verbesserte Arbeitsbedingungen.