20. Juli 1964: Mit dem "Moritz" auf dem Main

20.7.2014, 07:19 Uhr

„Eine Seefahrt, die ist lustig“, sagte sich der Nürnberger Stadtrat und stach am Samstag in den Main. Vier Stunden lang ließ er sich auf dem Motorschiff „Moritz“ von Kitzingen nach Schweinfurt schaukeln. Wenn immer jedoch die Stadräte etwas unternehmen, wird es kein reines Vergnügen. Bei diesem Ausflug sollten sie als künftige Hafenbesitzer im Vorüberfahren die Probleme einer Wasserstraße kennenlernen, was noch angegangen wäre; aber die brüllende Hitze ließ alle Freuden dahinschmelzen.

Eine leichte Brise blieb ein tückisches Geschenk des Himmels: die verhinderte lediglich, daß die Mainfahrer rechtzeitig ihre Sonnenbrände bemerkten. Bei 40 Grad mußten sie später im Omnibus obendrein für das Lüfterl büßen.

Früh am Morgen schon trafen sich die Ausflügler – 90 an der Zahl – vor dem Plärrer-Hochhaus. In zwei Omnibusladungen wurden sie über die alte Bundesstraße 8, die noch einmal das Fürchten lehrte und die Sehnsucht nach der Autobahn stärkte, nach Kitzingen gekarrt.

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Dort wartete schon „Moritz“ im Sonnenglanze auf die prominente Gesellschaft, an deren Spitze der Oberbürgermeister stolzierte. Das Stadtoberhaupt gehörte denn auch zu den unermüdlichen Sonnenanbetern, die sich auf dem Oberdeck schmoren ließen, während die übrigen sich im Schiffchen verkrochen.

Dreimal bimmelte die Glocke (das heißt: „Wir fahren in Gottes Namen“, erläuterte Schiffsführer Friedrich Endreß) und ab ging die Reise. Gottergeben warteten die Gäste auf kühle Getränke, die ebenso prompt kamen wie die obligaten Reden. Die Rhein-Main-Donau AG hatte Direktor Dr. Heinz Fuchs als Conferencier abgestellt, der den Nürnbergern für ihren Beitrag zur Großschiffahrtsstraße dankte und versprach, daß in eineinhalb Jahren im näheren Stadtgebiet mit dem Bau des Kanals begonnen wird. „Wir tun alles, um das Ziel Nürnberg 1969 zu erreichen!“

Mit 20 Stundenkilometern und Frankenwein

Was der Stadtrat in dieser Sache, über die er tags zuvor mit Bundesfinanzminister Dr. Dahlgrün diskutiert hatte, noch zu leisten hat, sagte ihm der Oberbürgermeister über das Bordmikrophon. Der Ausflug sei deswegen streckenweise auf die Großschiffahrtsstraße gelegt worden, damit schon jetzt einige der Probleme sichtbar werden, mit denen „Sie später Ihre Freizeit ausfüllen müssen“. Obwohl bisher noch kein Geld dafür da ist, sagte Dr. Urschlechter im Brustton der Überzeugung: „Ich bin sicher, daß das Endziel Regensburg erreicht wird!“

Während „Moritz“ mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern dahintuckerte und in etlichen Schleusen sein und damit auch des Stadtrats Niveau heben ließ, begnügten sich die Gäste mit dem Anblick des Wasser von außen: Die Gegend (Volkach/Escherndorf) reizte zum Genuß von Frankenwein. Während er durch die Kehlen rann, flößte Präsident Emil Renner von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Würzburg den Stadträten Wissen ein. Er blätterte ein wenig in der Geschichte des Kanals, mit dem vor acht Jahrzehnten zwischen Mainz und Frankfurt angefangen worden ist.

Im Kanal baden?

Als die Bayern erkannten, daß mit einer solchen Sache Geld zu verdienen ist, machten sie in den zwanziger Jahren auch mit. Von 1922 bis Ende 1963 sind 652 Millionen Mark – etwa 2,4 Millionen je Kilometer – in den Kanal geflossen. Er ist heute nur noch 35 Kilometer von Nürnberg entfernt und soll sich mit Riesenschritten nähern.

„In Nürnberg wird er 55 Meter breit und damit ein Anziehungspunkt für die Bevölkerung“, verhieß Renner. Das bringe den Behörden mehr Sorgen als Freude. Die Bürger möchten gerne in dem Gewässer baden, doch sei die Gefahr dabei groß. An anderen Stellen habe es immer wieder Unglücksfälle gegeben, bei denen Menschen von Kähnen zerquetscht oder von den Schrauben zerfetzt worden sind. Daher sollten sich die Nürnberger schon rechtzeitig Gedanken darüber machen, wo sie Platz für Schwimmer oder Ruderer schaffen können, die es nicht mit den 1500-Tonnen-Kähnen zu tun bekommen sollen.

Die Stadträte hörten – und sahen Schiffe mit so seltsamen Namen wie „Quo Vadis“ oder „Alte Liebe“ vorüberziehen. Das Mittagessen brachte sie ihrem ersten Ziel Schweinfurt näher, das schon aus der Ferne mit großen Betonklötzen grüßte. Beim alten Kranen im Hafen wurden sie schon von den Omnibussen erwartet, die stundenlang Wärme gespeichert hatten. Erschlagen wie die Fliegen erreichten viele die Burg Hoheneck, die 1132 erstmals urkundlich erwähnt wurde und seit Jahren der Stadt Nürnberg gehört, wovon rotweiße Fensterläden sichtbar zeugen.

Wenn schon das alte Gemäuer an diesem Tage keine Kühle zu bieten vermochte, so doch wenigstens die Wasserleitungen. Das mag die Gäste mit der „Schuldburg“, wie sie manche nannten, für´s erste versöhnt haben. Sozialreferent Dr. Max Thoma versäumte es denn auch an Ort und Stelle nicht, „die Vielgeschmähte“ in Schutz zu nehmen. „Wenn ich 75.000 DM brauche, dann geht das zuerst in den Wohlfahrtsausschuß, später in den Bauausschuß und noch woanders hin – und alle fragen: ,Was, du brauchst für Hoheneck schon wieder Geld?´ Dabei handle es sich immer um ein und denselben Betrag.

Dabei gibt der Stadtrat in diesem Falle sein Geld für edle Zwecke aus. Auf der Burg mit ihrer wechselreichen Geschichte können 102 Kinder zur Erholung, haltungsgeschädigte Berufsschüler und 65 Wanderlustige in der Jugendherberge aufgenommen werden. Das Personal reißt sich für seine kleinen Gäste die Beine aus. Die Kinder dankten dem Stadtrat seine Opfer mit Tänzen und Gesang. Die Gäste taten es den Kindern nach.

Und obgleich die Fahrt mit Wasser begonnen hatte, sie ging nicht ganz so harmlos zu Ende. Es war ja auch sooo heiß.