Präsidentin Verena Bentele im Interview

Energiepreis-Explosion alarmiert VdK: "An Ende des Jahres könnte der große Hammer kommen"

27.10.2021, 05:55 Uhr

Die Energiepreise steigen, Strom und Gas werden teurer. Für einige Verbraucherinnen und Verbraucher könnte die Preissteigerung enorme finanzielle Probleme bedeuten. © Hauke-Christian Dittrich, dpa

Frau Bentele, Öl, Gas, Strom - alles wird teurer, auch vor dem Hintergrund des 2021 eingeführten CO2-Preises. Das trifft am härtesten Menschen mit geringem Einkommen. Zahlen die Armen gerade den Preis für mehr Klimaschutz?

Zuerst muss man sich anschauen, wie die Energiepreise überhaupt zustande kommen. Da wirkt natürlich zum einen die EEG-Umlage, zum anderen aber auch die Verteuerung an den Börsen. Die Menschen mit niedrigem Einkommen zahlen gerade einen hohen Preis dafür, dass die Energiekonzerne an der Energieversorgung gutes Geld verdienen. Und sie zahlen vor allem auch die Zeche dafür, dass sie oft in schlechter beheizten und isolierten Wohnungen wohnen. Wollen sie ihre Wohnung warm beheizen, ist das für sie deutlich teurer als für jene, die in gut sanierten Wohnungen leben. Proportional gesehen sind Menschen mit einem geringeren Einkommen deutlich stärker durch die hohen Energiekosten belastet als Besserverdienende.

Verena Bentele ist seit 2018 Präsidentin des VdK Deutschland und fordert Unterstützung für Einkommensschwächere.  © VdK, NN

Welche Sorgen gehen damit einher?

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Die Sorge besteht vor allem darin, dass sich Menschen die Energiekosten gar nicht mehr leisten können. Weil sie zum Beispiel alleinerziehend sind und Teilzeitjobs haben, weil sie in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, weil sie Rentnerinnen und Rentner sind, die nur begrenzte finanzielle Ressourcen und auch nicht mehr die Möglichkeit haben, etwas an ihrer Rente zu verändern. Das kann Familien betreffen, in welchen die Kinder in den letzten Monaten wegen des Homeschoolings viel zuhause waren oder Menschen, die in Wohnungen leben, die nicht gut isoliert sind. Sie machen sich Sorgen, dass am Ende des Jahres die Endabrechnung mit extremen Nachzahlungen verbunden sein wird, für die sie keine Rücklagen bilden konnten. Für viele Grundsicherungsempfänger bedeutet das momentan zum Beispiel, dass sie einen Teil des Geldes, das eigentlich für Kleidung, Ernährung oder Teilhabe am Leben gedacht ist, für Energieausgaben abzweigen müssen.

Sie sprechen schon länger davon, dass „Energiearmut“ ein zunehmendes Problem wird: Was verstehen Sie darunter genau?

Darunter verstehen wir eine Armutsspirale: Sie bedeutet, dass Menschen stärker in die Armut geraten, weil die Energiekosten immer höher werden und somit deutlich weniger Geld für andere Dinge wie Kleidung und Ernährung bleibt. Wenn Menschen mehr als zehn Prozent ihres Einkommens für Energie ausgeben müssen, spricht man von Energiearmut. Sie bedeutet zudem, dass Menschen arm an Energie sind: In dem Sinne, dass sie auf Energie – auf Strom, auf Heizung – verzichten müssen, weil sie hohe Rechnungen befürchten. Teilweise wird ihnen sogar der Strom abgeschaltet, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Hinzu kommt, dass viele Menschen nicht das Geld übrig haben, sich Energiespargeräte zu kaufen ­- all das führt dazu, dass die Armut zunimmt. Menschen, die durch ihre schlechte Haushaltslage sowieso schon eine durchschnittlich geringere Lebenserwartung haben als solche, denen es finanziell besser geht, werden zusätzlich belastet, indem sie zum Beispiel in einer kalten Wohnung leben müssen.

Wie viele Menschen betrifft das in Deutschland?

Im Jahr 2019 konnten circa zwei Millionen Menschen ihre Wohnung nicht ausreichend heizen. Und diese Zahl wird sicherlich noch steigen, weil aktuell wegen der hohen Preise zu befürchten ist, dass für viele Menschen der große Hammer in Form einer hohen Rechnung am Ende des Jahres kommt.

Was fordern Sie konkret von einer neuen Bundesregierung mit Blick auf diese Entwicklung?

Wir fordern eine Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze und auch des Wohngeldes in der Form, dass sich dort die tatsächlichen Energiepreise wiederfinden. Wir fordern mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und – auch eine ganz wichtige Sache – in eine energetische Sanierung von Wohnraum. Wir fordern, dass es eine Unterstützung für Menschen gibt, die mit Kindern in einer Wohnung leben und sich in einer finanziell schwierigen Lage befinden. Außerdem eine Weiterentwicklung der Grundrente, weil viele Rentnerinnen und Rentner in der jetzigen Grundrente zu geringe Aufschläge bekommen, so dass es auch für sie möglich ist, sich Energie zu leisten.

Wie sieht es mit speziellen Förderprogrammen aus?

Menschen in der Grundsicherung oder mit sehr geringem Einkommen haben kaum die Möglichkeit, überhaupt Energie einzusparen. Nicht nur ihre Wohnungen sind schlecht isoliert, sondern auch ihre Haushaltsgeräte sind meist veraltet und verbrauchen viel Strom. Hier denken wir an einen Einmalzuschuss für die Anschaffung von energiesparenden Großgeräten wie Kühlschrank oder Waschmaschine.

Was müsste an den bestehenden Förderprogrammen geändert werden?

Im Moment ist es zum Beispiel so, dass es Prämien dafür gibt, wenn man alte Ölheizungen austauschen lässt. Ältere Menschen, bei denen sich die Banken dann Sorgen machen, ob sie einen Kredit überhaupt noch zurückzahlen können, bekommen diesen Zuschuss gar nicht und bleiben in ihren Wohnungen mit alten Anlagen sitzen. Das ist eine riesige Schwierigkeit und es müsste da Förderprogramme von der Regierung geben, dass auch Ältere Kredite bekommen. Die Bank hat ja trotzdem noch eine Sicherheit, weil das Geld damit in eine Immobilie investiert wird. Aber gerade Menschen mit wenig Geld, die eine teure Heizung haben, leiden natürlich doppelt. Deswegen muss es auch für sie möglich sein, energetisch zu sanieren.

Welche Maßnahmen halten Sie für unabdingbar?

Für wirklich unabdingbar halte ich, dass die Kosten, die das Thema Klimaschutz mit sich bringt, fair verteilt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass nicht die Mieter die Kosten für die energetische Sanierung von Gebäuden und die CO2-Bepreisung bei den Heizkosten tragen müssen - das müssen die Vermieter übernehmen. Gemeinwohlorientierte , Einzel- und Kleinvermieter brauchen dafür staatliche Unterstützung. Und wir fordern langfristig, dass es für Menschen mit wenig finanziellem Spielraum so gute Unterstützung gibt, dass Energie für sie bezahlbar bleibt.

Mit Blick auf die Zukunft: Die Energiepreise werden voraussichtlich nicht mehr wirklich sinken – Stichwort CO2-Bepreisung. Was ist auf lange Sicht nötig?

Das ist die spannende und wichtige Frage. Die Überlegung ist immer: Wo setzt man an? Wir stellen uns langfristig vor, dass sich die steigenden Energiekosten in den staatlichen Zuschüssen für Grundsicherung, Kindergrundsicherung oder Wohngeld auch abbilden. Aber ein weiteres Problem liegt woanders: Wir haben nicht genug Wohnraum, der energetisch sinnvoll saniert und genutzt ist. So kommt man dann irgendwann in die Situation, dass es nur noch darum geht, wie man die teuren Kosten irgendwie von staatlicher Seite subventionieren kann. Und das Sondierungspapier gibt ja momentan das Geld schon für sehr unterschiedliche Dinge aus, ohne mehr Geld einzunehmen. Das macht das Ganze so schwierig. Zusammengefasst müssen Menschen mit wenig Geld entlastet und Vermieter mehr in die Pflicht genommen werden, und der Staat muss selbst für mehr klimafreundlichen Wohnraum sorgen, um so auch den Markt zu regulieren.

Wo kommt das Geld für Ihre Pläne her?

Aus dem Bundeshaushalt, anders geht es leider nicht. Die neue Bundesregierung plant ja auch neue Investitionsgesellschaften, wir können gespannt sein, was sich dadurch ändern wird. Aber momentan kommt das Geld aus dem Bundeshaushalt und da aus ganz unterschiedlichen Töpfen. Zum Beispiel aus dem Arbeits- und Sozialministerium, wenn es um die Grundsicherungsleistungen geht. Dann ist das Ministerium für Umwelt und Bauen involviert, bei Themen wie energetischer Sanierung und Krediten für neue Heizungen. Aber insgesamt kommt es natürlich aus dem Bundeshaushalt. Und deshalb müsste meines Erachtens die Privatwirtschaft mehr in die Pflicht genommen werden und gerade große Wohnkonzerne müssten deutlich strengere Auflagen erfüllen.

Andere EU-Länder sind bereits weiter und haben Maßnahmen eingeleitet, um die Energiepreise zu regulieren und Verbraucher zu schützen: Frankreich hat eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt, Italien will drei Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zum Beispiel durch Steuersenkungen zu erlassen. Könnte das ein Vorbild für Deutschland sein?

Das sind immerhin Maßnahmen, während die aktuelle Bundesregierung bislang nicht aktiv geworden ist. Wenn der Energiemarkt auf europäischer Ebene ein Stück weit reguliert werden würde, wie es in Frankreich gerade durch die Deckelung der Strompreise passiert, wäre das tatsächlich eine spannende Sache. Allerdings ist es schwierig, so sehr in den Markt einzugreifen. Und ich glaube, das gibt wirklich nur Sinn, wenn das insgesamt auf europäischer Ebene passiert. Aber es droht uns die Situation, dass die Verschuldungsrate in Deutschland extrem ansteigen wird, wenn die Menschen am Ende des Jahres ihre Energierechnungen nicht bezahlen können. Ein Szenario, das wir wie auch viele Energieanbieter bereits befürchten. Die diesjährigen Endabrechnungen werden für viele Menschen ein riesiges finanzielles Problem werden, und die Bundesregierung muss hier schnelle Maßnahmen treffen, um dies abzufedern.

Eine Ampel-Koalition zeichnet sich zwar ab, doch es wird Wochen dauern, bis sie im Amt ist. Welchen Rat haben Sie für Menschen, die angesichts der Energiepreise jetzt im Winter richtig in Geldnot geraten?

Das Problem ist, so einen richtig superguten Rat gibt es nicht. Irgendwie muss man ja seine Wohnung heizen. Und den Menschen zu sagen, schalte deine Heizung halt einfach nicht an, finde ich geradezu zynisch. Gerade für kranke, pflegebedürftige Menschen oder Familien mit Kindern ist das keine Option. Andererseits müssen wir alle lernen, wo man am einfachsten Energie einsparen kann und wo die größten Gefahren lauern. Ich glaube, wir sind alle sehr unterschiedlich gut darin, energiesparend zu leben und da könnte es hilfreich sein, Energieberatungen wahrzunehmen, um mit entsprechenden Maßnahmen die Energierechnungen ein bisschen zu reduzieren. Außerdem sollten alle, die in finanzieller Not sind, prüfen lassen, ob sie einen Anspruch auf Grundsicherung oder Wohngeld haben.