Heimat und mehr: Warum die Deutschen ihr Brot so lieben

2.10.2019, 10:52 Uhr

Der Nürnberger Harald Pommer hat sich dem Brot verschrieben. Brot verkörpert für den gelernten Bäcker ein Stück "Heimat". © Eduard Weigert

Ein Brillenputztuch wäre jetzt nützlich. Mehr und mehr Mehlstaub heftet sich an die Gläser von Harald Pommer. Doch der Bäcker hat keine Zeit, den milchigen Schleier wegzuwischen. Seine Hände braucht er um die Teige zu bearbeiten, die ihm sein Kollege alle paar Sekunden frisch auf die Arbeitsfläche legt. Akkordarbeit in der Backstube in Erlangen-Tennenlohe, es ist 22 Uhr.

Schon vor zwei Stunden wurde der Teig für das Brot Tessino angesetzt: In einem riesigen Stahlbehälter hat ein Knethaken Weizen- und etwas Roggenmehl, Salz, Wasser und Hefe vermengt. Dann durfte der Teig ruhen und die Hefe ihre Arbeit verrichten.

Pommer bestreut die weiche Masse mit Mehl, zieht den Teig bis eine fast viereckige Form entsteht und presst seine Finger in den Teig, damit die Luft entweicht. Würde er das nicht tun, würde der Laib am Ende so groß wie ein Fußball werden.

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Brot ist ein Stück Heimat

Der Nürnberger Harald Pommer hat sich dem Brot verschrieben. Brot verkörpert für den gelernten Bäcker ein Stück "Heimat" – Heimat, die aromatisch duftet, die mal herb und mal nach Kümmel schmeckt. Diese Heimat hat viele Gesichter. Sie ist rund und auch eckig, groß und klein, dunkel- und hellbraun. Die Franken, sagt Harald Pommer, mögen Brote mit viel Roggen. Sie enthalten oft Gewürze wie Fenchel, Koriander und Anis – alle vier heimische Gewürze.

 

"Brot", sagt der 50-Jährige, "ist für mich der günstigste, schmackhafteste und abwechslungsreichste Luxus, den sich jeder leisten kann." Seit 2016 ist Pommer, der bei der Bäckerei Beck arbeitet, auch Brot-Sommelier. Derzeit gibt es in Deutschland nur wenige Männer und Frauen, die diese zusätzliche Bezeichnung tragen.

Brot gehört zum Alltag

In Erlangen-Tennenlohe hebt Harald Pommer den wattig-weichen Teig in einen Regalwagen. Der Steinofen ist bereits auf 260 Grad vorgeheizt.

Wie sehr Brot heute zum Alltag gehört, zeigt eine Zahl der Gesellschaft für Konsumforschung. So haben die privaten Haushalte in Deutschland im vergangenen Jahr etwa 1,6 Millionen Tonnen Brot gekauft. Um die 46 Kilogramm Brot isst jeder Bürger im Jahr.

Dass Deutschland als Brotnation gilt, hat mehrere Gründe, erzählt Pommer. Im Unterschied zu anderen Ländern, die Zentralstaaten waren, ähnelte Deutschland einem Flickenteppich. Herzogtümer reihten sich an eigenständige Städte. Vielfalt statt Uniformität. Jeder buk sein eigenes Brot. Vielleicht wollte man dem Nachbarn zeigen, dass man es besser könne, vermutet Pommer. So schufen die Dresdner den Stollen, die Franken ihr altfränkisches Bauernlaib, die Münchner das Münchner Hausbrot und die Rheinländer das Vollkornbrot. Mittlerweile verzeichnet das Deutsche Brotregister über 3200 verschiedene Sorten. Kein anderes Land besitzt eine solche Diversität.

"Franken können aus den Vollen schöpfen"

Dass es in Deutschland so viele Brot-Varianten gibt, hängt mit dem unterschiedlichen Klima und den verschiedenen Böden hierzulande zusammen. "Das Klima gibt den Rohstoff vor", sagt Pommer. Im Norden gedeiht Roggen am besten. Denn dort sind die Böden sandig und das Klima kühl. Dagegen braucht Weizen Sonne und mehr Wasser. Beides findet er vor allem im Süden Deutschlands. Daher bestehen die Brote in den nördlichen Bundesländern vor allem aus Roggen. Die Schwaben greifen zu Dinkel. Dinkel sei etwas anspruchsloser, was den Boden betreffe, sagt Pommer. "Die Franken können aus den Vollen schöpfen. Hier wächst sowohl Roggen als auch Weizen."

Laut des Deutschen Brotinstituts essen die Deutschen am liebsten Mischbrote, die aus Weizen- und Roggenmehl bestehen. Fast ein Drittel aller Brote, die gegessen werden, sind Mischbrote.

50 Minuten im Steinofen

Bevor in Erlangen-Tennenlohe die Tessinoteige in den heißen Ofen geschoben werden, lässt ein Kollege von Harald Pommer die Blasen, die sich auf der Teigoberfläche gebildet haben, platzen. An diesen Stellen würde das Brot sonst nur verbrennen. Dann verschwinden die Laibe in der Hitze.

Das besondere Verhältnis der Deutschen zu ihrem Brot wird auch an den verschiedenen Brotsorten deutlich. Basis ist das Mischverhältnis von Weizen- und Roggenmehl. So hat ein Roggenbrot einen Anteil von mindestens 90 Prozent Roggen. Von einem Roggenmischbrot ist die Rede, wenn dieses einen Roggenanteil von mindestens 51 bis höchstens 89 Prozent besitzt. Doch das ist noch nicht alles. Neben den vier Brotgruppen gibt es noch Spezialbrote. Sie enthalten zum Beispiel besondere pflanzliche Zutaten wie das Leinsamen- oder das Quarkbrot oder durchlaufen ein spezielles Backverfahren wie das Holzofen- oder Knäckebrot.

Nach 50 Minuten im Steinofen ist das Tessino fertig. Es riecht nach Malz und geröstetem Kaffee. Brotsommelier Harald Pommer empfiehlt zu diesem Brot einen kräftigen Käse zu essen. Wären auch Honig und Nutella möglich? "Nein" sagt Harald Pommer nicht. Sein Gesicht verrät aber: Von dieser Kombination würde er abraten.