Eine Kooperation, bei der alle gewinnen

28.12.2019, 15:00 Uhr

Elektrische Leitungen verlegen? Eine Notstromversorgung planen für einen Ort, wo das öffentliche Stromnetz nicht besonders stabil ist und es deswegen fast täglich zu Stromausfällen kommt? Das wäre eine typische Aufgabe, wie man sie an einer Berufsschule stellen könnte. Typisch wäre auch, sich die dazu passende Handlungssituation auszudenken. Alles fiktiv natürlich.

Doch was, wenn die gestellte Aufgabe gar nicht auf einer Fiktion beruhen würde, sondern Realität wäre? "Dann wäre die Motivation der Schüler, an einer Lösung zu arbeiten, deutlich höher", meint Roland Topinka, Leiter der Staatlichen Berufsschule Erlangen.

Genau darauf kann man nun setzen. Denn die Erlanger Berufsschule strebt eine Kooperation mit einer privaten, aber staatlich anerkannten Berufsschule in kirchlicher Trägerschaft in Tansania an. Der Kontakt kam durch Zufall zustande – über einen ehemaligen Lehrer, dessen Cousin Burkhard Freitag in der 30 000-Seelen-Stadt Mlandizi gemeinsam mit einem ortsansässigen Pastor seit 2014 diese Schule – das Vocational Training Center (VTC) Mlandizi – aufgebaut hat.

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Burkhard Freitag lebt und arbeitet in Deutschland – in Ochsenfurt im Landkreis Würzburg –, bringt sich aber mit sehr viel Engagement in dem ostafrikanischen Land ein. Mlandizi liegt 50 Kilometer von Daressalam entfernt in einer strukturell aufstrebenden Region. Derzeit siedeln sich dort erste Industriebetriebe an. Auch in Mlandizi soll ein Industriepark entstehen.

"Die Chinesen bauen riesige Straßen durchs Land", sagt Michael Münch. Er ist Lehrer an der Berufsschule in Erlangen und erfahrener Afrika-Reisender, mit dem Technischen Hilfswerk war er in mehreren Ländern des Kontinents und hat Erfahrungen jenseits von Tourismus gemacht. Gemeinsam mit dem stellvertretenden Schulleiter Jürgen Schreiner – auch er nicht zum ersten Mal in Afrika – war er dieses Jahr in Mlandizi. Ein erster Sondierungsbesuch, um die Situation vor Ort einschätzen zu lernen.

Reich an Eindrücken sind sie zurückgekommen. Und auch sichtlich beeindruckt von der Schule in Mlandizi. "Man hat sich vom ersten Augenblick an wohl gefühlt", sagt Jürgen Schreiner. "Man hat das Gefühl, der Begriff Schulfamilie trifft hier zu." Das Vocational Training Center befindet sich in einem eigenen Gebäude auf dem "sehr gepflegten Gelände" der kirchlichen Einrichtung, einer früheren Mission. Ein weiteres Schulgebäude ist in Planung. Daneben gibt es dort noch einen Speisesaal, ein Wohnheim – das noch renoviert werden muss – und ein Gästehaus, außerdem kirchliche Gebäude. Die rund 100 Schüler werden in zwei Jahren Vollzeitbeschulung unterrichtet. Die Ausbildung endet mit einer staatlichen Prüfung.

Während in Daressalam, aber auch in Mlandizi ärmliche Wellblechhütten das Stadtbild prägen, sei es, wenn man durch das Tor auf das Gelände des Vocational Training Center tritt, "als ob man in eine andere Welt kommt", sagt Schreiner. Prägende Kraft ist Pater Samuel, "er hat das Ganze toll im Griff". Seine Tochter Sylvia Meena leitet die Schule.

"Die Schule ist für die nationalen Verhältnisse auf einem guten Stand, jedoch besteht aus unserer Sicht ein erheblicher Entwicklungsbedarf, um internationalen Standards zu entsprechen", so das Resümee der beiden Erlanger Berufsschullehrer. "Es wurde uns schnell klar, dass im Bereich berufliche Bildung Defizite da sind", sagt Michael Münch. Dieser Sachverhalt sei auch bei Gesprächen mit Vertretern deutscher Betriebe bestätigt worden, die in Tansania Niederlassungen haben. Sehr deutlich sei geäußert worden, dass die Facharbeiter vor Ort die Anforderungen der Unternehmen nicht erfüllen können.

Neben dem Fachkräftemangel gibt es zugleich eine hohe Jugendarbeitslosigkeit von 65 Prozent. Die Schulleitung des Vocational Training Center möchte die Schule weiterentwickeln, um den Anforderungen der Wirtschaft besser zu entsprechen und somit die Chancen der Schülerinnen und Schüler am Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Außerdem soll die Palette der angebotenen Ausbildungsberufe – Schreiner, Elektrotechnik, ICT, Näherinnen – erweitert werden. Die Einführung des Lehrberufs "Landschaftsgärtner" wird bereits geplant, hierzu gibt es Unterstützung von deutschen Betrieben und der Innung. Als weitere Lehrberufe sollten Kfz-Mechatronik und Hotel- und Gastronomieservicekräfte eingeführt werden, dabei wären eine organisatorische und fachliche Unterstützung durch die Berufsschule Erlangen erforderlich.

Doch Möglichkeiten für eine Unterstützung gibt es noch mehr, zum Beispiel beim Auf- und Ausbau einer modernen Schulinfrastruktur – inklusive IT-Technik – , bei der fachlichen Weiterbildung von Lehrkräften, bei der Unterrichtsentwicklung. Oder auch bei der Entwicklung von Finanzierungskonzepten und Businessplänen. Denn da die Schule derzeit nur über geringe finanzielle Mittel verfügt – vor allem aus dem Verkauf der Möbel aus der Schreinerei – , müssen neue Wege der Finanzierung gefunden werden. Das Ziel soll sein, dass die Schule für Schüler unentgeltlich ist und somit besonders der ärmeren Bevölkerung offen steht.

Mit Know-how in Zukunft beratend zur Seite stehen: Das kann man sich bei der Berufsschule Erlangen inzwischen sehr gut vorstellen. Und ist darüber hinaus überzeugt davon, dass man, wie Schulleiter Topinka sagt, nicht nur mit relativ wenig Aufwand große Erfolge erzielen kann, sondern dass dies eine "Win-Win-Situation" werden könnte. Finanziell unterstützt wird das Projekt aktuell von der Schreiber Stiftung.

Bei der Planung der Notstromversorgung für das Gelände des Vocational Training Center übrigens ist man schon auf dem besten Weg. "Wir haben der Schule in Tansania bereits übermittelt, was wir hier in Erlangen in der Klasse erarbeitet haben", sagt Michael Münch.

Mit dem Know-How-Transfer ist man, wie Lehrer und Schulleitung hervorheben, im Einklang mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Förderung der Berufsausbildung ist ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungsarbeit, da man erkannt hat, dass der Mangel an Fachkräften ein großes Hemmnis für Unternehmen in Afrika ist. Von "Glücksmomenten" spricht nun Roland Topinka, wenn er die Kooperation skizziert. Engagierte Lehrer, interessierte Schüler – und das auf beiden Seiten. Ein Fall also, bei dem rundum alles stimmt.

Man hat das Gefühl, der Begriff

Schulfamilie trifft hier zu.