Erlangen: Lincoln ist das Auge für blinde Lara Reiser

19.1.2018, 18:00 Uhr

Lincoln ist das Auge seiner Besitzerin, die sich im wahrsten Sinne des Wortes blind auf ihn verlässt. Der helle Labrador liegt entspannt auf seinem Platz und kommt erst auf Kommando näher. Er hat die Ruhe weg. "Lincoln ist der Chiller vor dem Herrn", stellt Lara Reiser den dreijährigen Blindenführhund vor, während sie sich auf den Fußboden setzt und ihr 35-Kilo-Riesenbaby streichelt.

Innerhalb ihrer Wohnung bewegt sich Lara sicher und flink. Sie macht Kaffee. "Ich war schon früh selbstständig", untermauert sie den selbstbewussten Eindruck, den man rasch von der fröhlichen jungen Frau gewinnt, die von Geburt an blind ist.

Sie wurde in Nürnberg geboren, ging nach der Grundschule nach Marburg aufs Gymnasium und ins Internat für Blinde und Sehbehinderte. Nach dem Abitur wollte sie "für einige Zeit raus aus Deutschland" und zog ein Auslandsstudium in Betracht. "Das klappte nicht so, wie ich wollte und so entschloss ich mich dazu, ein Jahr in Kamerun an einer Blindenschule zu arbeiten."

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Aus Afrika brachte sie ihren Kater Arachide (Deutsch Erdnuss) mit. Das Kerlchen wurde in ihren Händen geboren und sie hätte ihn keinesfalls in Kamerun gelassen. "Obwohl das ein gewaltiger Behördenaufwand war, ist er hier", freut sich die junge Frau, die beharrlich alle amtlichen Hürden überwand.

Seit ihrer Rückkehr studiert sie Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität. Bis zu einem Unfall bewältigte sie ihren Alltag mit Hilfe eines Langstocks, dessen Einsatz jedoch stets höchste Aufmerksamkeit erfordert. "Nach einem Tag mit einigen anstrengenden Vorlesungen reichte meine Konzentration nicht mehr aus, und ich fiel auf dem Heimweg in einen Schacht und brach mir den Arm."

An die Substanz ging ihr auch die Impertinenz ihrer Umgebung: "Pro Tag wurde ich mehrmals von fremden Menschen, etwa in der U-Bahn, angegrabscht und irgendwohin geschoben", erinnert sie sich mit Unbehagen. "Obwohl es viele bestimmt nicht böse meinen, bin ich weder ein hirn-, noch ein hilf- oder geschlechtsloses Etwas, das man einfach anfassen darf. Für mich fühlte sich das immer ein bisschen an, wie Mord im Dunkeln."

Bereits nach dem Unfall hatte sich die junge Frau für einen Assistenzhund entschieden. "Seit Lincoln bei mir ist, gibt es keine solchen Übergriffe mehr, aber ich höre manchmal "Schau, die kleine Frau mit dem großen Hund, wie romantisch", sagt sie. Doch Lara ist selbstbewusst genug, um gelassen mit solchen Sprüche umzugehen. "Als blinder Mensch lernt man vermutlich alle komischen Leute kennen", scherzt sie.

Hund und Ausbildung kosten etwa 26 000 Euro und werden als medizinisches Hilfsmittel von der Krankenkasse bezahlt. "Als Welpe kam Lincoln in eine erfahrene Patenfamilie und vermutlich ist er auch deshalb so gelassen, weil er überall mit hingenommen wurde, egal ob in Züge, auf den Rummelplatz oder zum Silvesterfeuerwerk."

Konzentrierter Hund

Mit einem Jahr kam der wesensfeste Hund in die Ausbildung und wurde im August 2016 an Lara übergeben. Innerhalb von drei Monaten wurden die beiden ein eingespieltes Team. Lincoln liebt sowohl seine Arbeit als auch sein Frauchen und ist auf es fixiert, denn hinter dem Gehorsam steckt jede Menge Beziehungs- und Erziehungsarbeit. Der Rüde lässt sich bei der Arbeit durch nichts ablenken – weder ballspielende Jugendliche, andere Hunde, Jogger oder Fahrradfahrer stören ihn in seiner Konzentration.

Er zeigt Lara Hindernisse wie Treppen und Bordsteine an und signalisiert, ob sich der Straßenbelag verändert, eine Gehwegplatte hochsteht oder eine Pfütze auf dem Weg ist. Am Bahnhof weicht er nicht von ihrer Seite, damit sie nicht auf die Gleise fallen kann und führt sie zu einem Sitz oder einer Haltestange, sobald sie den Waggon betritt. Er findet Bänke in Parks, Geldautomaten und Tresen im Supermarkt.

Und er erkennt Gefahren für sie. "Erlangen als Fahrradstadt ist für Blinde, ziemlich abenteuerlich. Fahrräder oder auch Elektroautos hört man nicht, das ist gefährlich." Um Schaden von ihr abzuwenden, kommt es schon auch vor, dass Lincoln den Gehorsam verweigert. "Neulich wollte er partout nicht weiter gehen und dann habe ich gemerkt, dass wir vor einer Treppe standen. Lincoln macht einen super Job – ich kann mich voll und ganz auf ihn verlassen."