Walgesänge und Urwaldstimmen in "teuren Farben"

23.2.2018, 19:45 Uhr

Gleich beim ersten Stück, "Spins and Spells" der finnischen Komponistin Kaija Saariaho, reichert er das unerwartet anregende Hörerlebnis mit der visuellen Dimension eines eigens dafür erstellten Tanzvideos von Jean-Baptiste Barrière an. Das geht dann ungefähr so: Vor einem bewegten Wellenmotiv tanzt eine Person, aus dem Lautsprecher hört man Wasser plätschern, mit kurzen Motiven setzt das Cello ein und scheint seinerseits mit den filmischen Unschärfen zu tanzen. Triller zu Pirouetten, hohe und tiefe Doppelgriffe zu Bewegungen der Unentschlossenheit. Dabei scheint das Cello die Bewegungen der Tänzerin auszulösen – eine unglaublich starke Wechselwirkung zwischen Musik und Video, möglich nur auf Grund der intensivsten Befassung des Künstlers mit dieser längst nicht mehr neuartigen Kunstform, beeindruckt und fesselt hier das Publikum.

Zum 60. Geburtstag seines Freundes Pascal Dusapin (weltweit hochgeschätzter Komponist Jahrgang 1955) hatte Anssi Karttunen zehn andere Komponisten gebeten, jeweils sechs Töne für Dusapin zu komponieren. Daraus entstand ein auf kleinsten zeitlichen Raum komprimierter Überblick über die verschiedensten Herangehensweisen beim Schaffen neuer Musik, die jeweils von atmosphärisch kongenial passenden Bildern von Muriel von Braun, Karttunens Ehefrau, begleitet wurden: aquarellierte Farbflächen zu Trillern und raschen Saitenwechseln, an arabische Kalligrafie erinnernde Zeichen zu sirrenden Flageolettes. Auch setzt Karttunen ein neuartiges, ähnlich einem Harfenspieler zweihändiges Pizzicato ein zu gedankenverlorenem Pfeifen – traumhaft!

Anregendes Klangbad

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"Près" heißt das zweite Stück der Finnin Kaija Saariaho, inspiriert von Paul Gaugins Bild "Am Meer", und es wird ein anregendes Klangbad. Die Elektronik liefert Töne wie aus einer Metallröhre, teilweise durchaus sperrig, während Anssi Karttunen auf seinem Cello wahre Langstreckenläufe absolviert. Wasser kommt "vom Band", das Cello wird verstärkt und sein Echo ver- und abgewandelt – man muss richtig hinhören, um bloß nichts zu verpassen. Auch nicht den kurzen Ausflug Richtung Heavy Metal, bei dem das Ohr spontan an die vier finnischen Cello-Haudegen von "Apocalyptica" erinnert wird … Hall, Tropfen, Klirren, Klimpern, Klopfen, Dumpfes – alles im engsten Dialog mit dem am Extrem arbeitenden Virtuosen.

Fesselndes Erlebnis

Pablo Ortis "Manzi" lässt einen Pas de Deux auf der Leinwand mit dem Cello wahrlich "verschwimmen". Deutlich verbinden sich in dem ausgesprochen gesanglichen Stück lateinamerikanische Musikelemente mit dem optisch vielschichtig verfremdeten Video. Dennoch bleibt ein deutliches, fesselndes audiovisuelles Erlebnis.

Mit dem Griff zum E-Cello, dessen Corpus auf ein ca. 12x14 Zentimeter großes Kästchen reduziert ist, führt Karttunen in die Naturklangwelt von Thierry Pécou. Sein "Mada la baleine" für E-Cello und Elektronik zaubert aus Cello-Tönen Walgesänge, Urwald- und Vogelstimmen. Immer wieder verändert der E-Cellist mittels "Tretmine" die Klänge, die parallel aufgenommen und von der Elektronik wiederum verändert durch die Lautsprecher zum Publikum gebracht werden. So müssen die hochkonzentrierten Zuhörer für Anssi Karttunens "Reflections, improvisation" für E-Cello und Video erst wieder in die Realität zurückkommen, um sofort in die nächste Traumwelt aus Musik und abstraktem Farb- und Formenspiel einzutauchen. Mit hohen Tönen macht Karttunen leuchtende Flächen hörbar, vertont Schillern mit Wurfbogen, Schimmer "klingt" wie Flageolette – Synästhetik pur in "teuren Farben" wie Blau, Weiß, Gold und Kupfer.

Virtuoser Umgang

Als Zugabe kredenzte der E-Cellist dem Publikum noch ein letztes musikalisches Praliné: Mit viel "Pedal" erzeugt er aus kleinsten Klang-Partikeln eine riesige orchestrale Wirkung und bezeugt damit noch einmal seinen virtuosen Umgang nicht nur mit dem Instrument, sondern auch gleichzeitig mit der Technik.

Die Aufzeichnung dieses spektakulären Multimedia-Konzerts wird am 21. Juni ab 22.05 Uhr auf BR-Klassik gesendet.