Fall Mollath: Richterverein kritisiert Politiker

10.8.2013, 10:46 Uhr

Aus der Richterschaft gibt es Kritik am Verhalten der Politik im Fall Mollath. Sie habe sich zu sehr eingemischt und sich zu wenig von den Auswüchsen distanziert, kritisierte der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Walter Groß, im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Der 57 Jahre alte Richter, der seit Juni Direktor des Amtsgerichts Fürth ist, sprach sich für eine autonomere Justiz und einen vom Parlament gewählten bayerischen Justizpräsidenten aus. Das mutmaßliche Justizopfer Gustl Mollath ist seit Dienstag frei. Vermutlich im kommenden Jahr soll der Fall neu aufgerollt werden.

Mollaths Unterstützer haben im Internet und auf der Straße gegen die Justiz monatelang mobil gemacht. War die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg zur Wiederaufnahme des Verfahrens somit ein echtes Urteil im Namen des Volkes?

Groß: Im Namen des Volkes bedeutet nicht, dass statt Recht und Gesetz Volkes Meinung Maßstab für eine Entscheidung sein darf. Allerdings ist dieser fatale Eindruck gerade im Fall Gustl M. entstanden. Daran hat sicherlich auch die Politik ihren Anteil: Wenn von einem Ministerpräsidenten kolportiert wird, er sei verärgert, weil er auf die Justiz keinen Einfluss habe. Oder wenn ein Kandidat, der Ministerpräsident werden will, zu einer Gerichts-Entscheidung sagt, sie würde das Rechtsempfinden der Bürger zu tiefst verletzten - ja, was halten dann diese Politiker von der Gewaltenteilung? Diese und andere Äußerungen haben für heftige Unruhe gesorgt. Letztendlich ist – überspitzt formuliert – der Eindruck entstanden: Der Ministerpräsident muss nur oft genug sagen, was er will. Es wird sich dann schon ein Gericht finden, das so entscheidet, wie er es gerne hätte.

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Das Landgericht Regensburg hat nach einer mehrmonatigen Aktenprüfung keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gesehen. Das OLG Nürnberg kippte die Entscheidung nur zwei Wochen später. Hat der politische Druck das OLG Nürnberg doch beeinflusst?

Groß: Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das wäre den Richtern, so wie ich sie kenne, völlig wesensfremd. Inhaltlich wollen wir uns als Berufsverband zum Fall Gustl M. allerdings nicht äußern. Denn dann würden wir ja genau das tun, was wir anderen auch vorwerfen - nämlich ohne Aktenkenntnis und aus der Ferne gerichtliche Entscheidungen bewerten. Dies ist auch nicht unsere Aufgabe.

Anders gefragt: Mischt sich die Politik zu viel in die Justiz ein?

Groß: Ich würde mir eine sachlichere Diskussion wünschen. Im Abschlussbericht der Minderheit zum Untersuchungsausschuss Mollath ist beispielsweise von naiven und ahnungslosen Staatsanwältinnen die Rede. Das ist nicht der Stil, mit dem Abgeordnete als Vertreter der Legislative auf der einen Seite mit Vertretern der Justiz auf der anderen Seite umgehen sollten. Die Staatsregierung, die Exekutive, trifft unter anderem Beförderungsentscheidungen bei den Gerichten und vergibt dort auch die Spitzenämter. Das macht erst recht deutlich, wie wichtig es wäre, dass sich Ministerpräsident und Justizministerin bei Einzelfällen mit einer Bewertung zurückhalten – um auch nur den Anschein zu vermeiden, es solle in der Sache Einfluss genommen werden. Das Gewaltenteilungsprinzip ist eine der wichtigsten Lehren aus der jüngeren Geschichte Deutschlands und sollte deshalb außer Frage stehen und beachtet werden.

"Wir würden uns eine autonomere Justiz wünschen"

Eine Initiative Bayerischer Strafverteidiger fordert deshalb als Konsequenz aus dem Fall Mollath die Schaffung von Richterwahlausschüssen. Wird in Bayern nur Richter, wer das richtige Parteibuch hat?

Groß: Nein, natürlich nicht. Wir würden uns aber in der Tat eine autonomere Justiz wünschen. Zum Beispiel durch einen vom Parlament gewählten Justizpräsidenten. Das Gewaltenteilungsprinzip würde damit gestärkt. Im Fall strittiger Beförderungen sollten statt des Justizministers Gremien entscheiden, an denen – wie etwa in Baden-Württemberg – auch Parlamentarier beteiligt sind. Wir sehen ein weiteres Problem darin, dass Spitzenämter, darunter fallen Generalstaatsanwälte oder Präsidenten der Oberlandesgerichte, in Bayern ohne Ausschreibung und effektive Mitwirkung der gewählten Richter- und Staatsanwaltsvertretungen vom Ministerrat vergeben werden. Dieses Verfahren enthält keine ausreichenden Sicherungen gegen eine parteipolitisch motivierte Einflussnahme.

Im Vorfeld des NSU-Prozesses in München hat sich der türkische Außenminister zu Wort gemeldet und Plätze für türkische Medien eingefordert. War das legitim?

Groß: Kritik der Öffentlichkeit an gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen ist selbstverständlich legitim und auch notwendig. „Im Namen des Volkes“ bedeutet ja gerade keine Arbeit im Verborgenen, sondern Kontrollierbarkeit durch die Öffentlichkeit. Ein Politiker aus dem Ausland ist Teil dieser Öffentlichkeit und mag hier seine Meinung äußern. Problematisch ist aber im Augenblick, wie manche Kritik ins Maßlose abgleitet oder beleidigend wird – bis hin zu abstrusen Verschwörungstheorien oder auch Gewalt- und Morddrohungen im Internet. Wir hätten uns von den Kritikern der Justiz in der Politik gewünscht, dass sie sich von derartigen Auswüchsen öffentlich distanzieren und nicht dazu schweigen.

Hat der Fall Mollath der bayerischen Justiz somit geschadet?

Groß: Die Art und Weise wie die Diskussion geführt worden ist, von einem Einzelfall ausgehend, verallgemeinernd und pauschalierend, hat Schaden hinterlassen. Darüber hinaus wird der Fall des Gustl M. leider auch kommerziell ausgeschlachtet und zu Wahlkampfzwecken missbraucht. Darunter leidet das Ansehen der Justiz ebenso wie unter eigenen Fehlern. Wer sich von einem Gericht ungerecht behandelt fühlt, sagt jetzt: Mir geht es ja wie dem Gustl M. Von dieser Justiz ist ja nichts anderes zu erwarten. Es muss deshalb verloren gegangenes Vertrauen tagtäglich durch Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen wieder zurückgewonnen werden.