Analphabetismus: "Die Hemmschwelle ist hoch"

13.9.2014, 11:00 Uhr

Wie alt sind die Menschen, die einen ersten Schritt zum Lesen und Schreiben wagen und sich zu Ihrem Kurs anmelden?

Frank Heck: Die Kursteilnehmer sind zwischen 36 und 76 Jahre alt.

 

Werbung
Werbung

Da werden Sie sicherlich mit vielen verschiedenen Lebensgeschichten konfrontiert, oder?

Heck: Ja, da ist beinahe alles dabei. Die ältere Dame etwa, die nun gerne mit ihrem Enkelkind in der Schule mithalten will. Oder Gastarbeiter, die in den 60er Jahren nach Deutschland kamen, kaum Schulbildung hatten und sich bei uns mit Hilfsarbeiterjobs durchgeschlagen haben — auch ohne lesen zu können. Manche haben auch Lernschwierigkeiten oder können sich nur schlecht konzentrieren.

Wie haben sich die Menschen denn bisher ohne lesen und schreiben zu können durchgeschlagen?

Heck: Viele natürlich mit dem Klassiker der vergessenen Brille und der Bitte, jemand möge ihnen kurz mal etwas vorlesen. Andere orientieren sich an Symbolen, beispielsweise dem der Sparkasse. Weil diese Tricks oft jahrelang gut funktioniert haben, fällt es vielen so schwer, sich Hilfe zu holen. Die Hemmschwelle, sich zu meinem Kurs anzumelden, ist schon sehr hoch.

 

Arbeiten Sie als Kursleiter auch immer die Geschichte ihrer Teilnehmer auf?

Heck: Nicht unbedingt. Keiner wird gezwungen zu erzählen, wie es ihm so ergangen ist. Aber viele verspüren nach jahrelangem Schummeln das Bedürfnis, sich zu öffnen, zu berichten, wie es ihnen ergangen ist. Da kann es hilfreich sein, dass die meisten über sich und ihre Schwächen lachen können.

 

Wie bringen Sie Erwachsenen Lesen und Schreiben bei?

Heck: Es gibt nicht so viele Bücher für diese Zielgruppe. Ich nutze deswegen Material für die Grundschule, das ich etwas den Bedürfnissen von Erwachsenen angepasst habe. Wichtig ist es mir, die Kursteilnehmer immer wieder aufzufordern, einfach alles, was sie entdecken, zu lesen. Wo sie früher weggesehen haben, sollen sie jetzt hinschauen und lesen. Was sie nicht verstehen, erarbeiten wir dann gemeinsam im Unterricht.

 

Sie leiten den Alphabetisierungskurs seit vielen Jahren. Woran erinnern Sie sich besonders gerne?

Heck: Ich bekomme immer mal ein Geschenk zu Weihnachten, eine Flasche Wein oder eine Einladung auf die Kärwa. Aber ganz besonders gefreut habe ich mich, als mir ein Schüler einmal eine Postkarte aus dem Urlaub geschrieben hat.