Entmietet: Ein besonderes Haus verliert seine Bewohner

14.5.2019, 16:00 Uhr

Ins markante Vorderhaus und auch ins Rückgebäude gelangt man über einen großzügigen Hinterhof. An den Mauern ranken Kletterpflanzen, Vögel singen, eine grüne Idylle mitten in der Stadt. "Das ist unser Treffpunkt, wir feiern hier gerne Feste mit der Hausgemeinschaft", sagt Markus Bröer.

Doch danach ist momentan weder dem 52-Jährigen noch den anderen Bewohnern zumute. Das Gebäude, das einen Steinwurf entfernt vom Autohaus Pillenstein an der Stadtgrenze steht, wurde Ende 2018 verkauft; ein Immobilienentwickler plant die Kernsanierung. Die Mieter sollen gehen, die Kündigungen haben sie bereits erhalten.

Für viele ist das ein schwerer Schlag, sie hatten sich in der Frankenstraße 9 einen Traum erfüllt. Der Vorbesitzer hatte das leer stehende Fabrikgebäude einst wiederbelebt, war selbst eingezogen und hatte den Rest der Fläche vermietet. "Das war eine Art Abenteuer-Wohnen", beschreibt Stefan Lederer das Lebensgefühl. So lange man dem Vermieter nicht irgendwie zur Last fiel, konnte man tun, was man wollte – und die Räume nach den eigenen Bedürfnissen ausbauen. Und das für sparsame fünf Euro pro Quadratmeter.

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Lederer, 60 Jahre, Lehrer von Beruf, ist seit Ende der 90er im vierten Stock zu Hause. Zusätzlich zur Treppe führt ein Lastenaufzug in sein Loft, das den Charme einer Künstlerwohnung versprüht. Dort hat er eine Holzplattform eingezogen, die ihm eine wunderbare Aussicht über Nürnberg ermöglicht. Ein Flügel zieht die Blicke auf sich. "Wir machen hier gerne als Quintett Musik." Jazzrock – mit Schlagzeug und allem drum und dran. Niemand störte sich daran.

Auch Karsten Maurer, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat viel Zeit, Geld und Nerven in seine Wohnung im Rückgebäude gesteckt, nachdem er vor 15 Jahren in die Frankenstraße kam. Der Schreiner und Kulissenbauer installierte ein modernes Badezimmer, zog Trennwände für Arbeits- und Schlafzimmer ein, die er mit farbenfrohen Schiebeholztüren verschließen kann, selbstgebaut versteht sich.

Sein geliebtes Rennrad baumelt an einer ausgeklügelten Seil-Konstruktion an der hohen Decke. Im Erdgeschoss hat er eine kleine Werkstatt gemietet, wo er an seiner Rennmaschine oder dem Motorrad schraubt. "Jetzt kommen Leute mit viel Geld und verändern alles", sagt er, und Markus Bröer ergänzt: "So etwas verändert eine ganze Stadt."

Die Menschen aus der Frankenstraße 9 sehen ihr Schicksal exemplarisch dafür, was derzeit in vielen Großstädten der Republik geschehe: Gentrifizierung. Im Wörterbuch steht dazu: "Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Schichten verdrängt wird."

Bröer, Maurer, Lederer und die anderen hatten zunächst versucht, das abzuwenden, und 2018 einen Verein gegründet, um das Gebäude selbst zu kaufen. Ihr Gebot lag bei 1,8 Millionen Euro. Der damalige Eigentümer, der hier längst nicht mehr lebt, ließ sich darauf nicht ein. Die Firma Immobilien Concept GmbH aus Spardorf unterbreitete ihm eine lukrativere Offerte.

Das Rathaus spielt nicht mit

In ihrer Not appellierte die Hausgemeinschaft an die Stadt Fürth, ihr Vorkaufsrecht wahrzunehmen. Die Kommune, so die Idee, könne neben den Wohnungen eine städtische Einrichtung in der Frankenstraße 9 unterbringen. Im Rathaus lehnte man den Vorschlag ab. Inzwischen haben sich die Bewohner damit abgefunden, ihre Heimat zu verlieren.

Seit sie sich Anwälte genommen haben, habe die Immobilien Concept GmbH den Ton deutlich verschärft. Eine Nachbarin sei bereits ausgezogen. "Die hat diesen Stress nicht ausgehalten", sagt Markus Bröer, "du beschäftigst dich gedanklich ja mit nichts anderem mehr." Allen Bewohnern, insgesamt gebe es neun Wohn- und zwei Gewerbeeinheiten, liegen Kündigungen vor, Stefan Lederer hätte bereits Mitte April ausziehen müssen.

Auf FN-Anfrage teilt die Immobilien Concept GmbH per E-Mail mit: Das Gebäude sei "schwer baufällig" und stehe zu "über 70 Prozent" leer. Das Hauptgebäude werde nicht abgerissen, "um Altsubstanz und das Stadtbild zu erhalten". Die Kernsanierung solle "zeitnah" beginnen. Entscheidend ist für die Verantwortlichen dieser Punkt: Das Gebäude sei in seiner über 100-jährigen Geschichte nie etwas anderes gewesen als ein Gewerbeobjekt, auch die verbliebenen Bewohner hätten allesamt Gewerbemietverträge abgeschlossen. Diese sind grundsätzlich leichter zu kündigen.

Der Voreigentümer habe das so gewollt, bestätigen die Mieter. Das ändere aber nichts daran, dass hier seit über 20 Jahren "gewohnt" werde – und einzig und allein das zähle. Sein Anwalt, so Stefan Lederer, vertrete die Auffassung: "Was gelebt wird, steht über dem Mietrecht."

Die Aussage, das Gebäude sei schwer baufällig, kann Markus Bröer, der früher als Architekt arbeitete, nicht nachvollziehen. "Die Grundsubstanz ist völlig okay, sonst hätten wir es nicht kaufen wollen." Im Übrigen, sagt er, seien von neun Einheiten noch sechs bewohnt. Im nahenden Rechtsstreit geht es für die Bewohner um zwei Dinge. Sie wollen eine Abfindung – und deutlich mehr Zeit, um sich eine neue Bleibe suchen zu können: Wohnungen zu erschwinglichen Mieten sind im Großraum bekanntlich Mangelware. Dass sie wieder etwas wie ihre Frankenstraße 9 finden, dieser Illusion gibt sich ohnehin niemand von ihnen hin.