Fürths Bürgerbühne wagt einen Blick in die Zukunft

2.5.2016, 10:00 Uhr

Die Szene ist tief im kollektiven Gedächtnis verankert: Charlie Chaplin steht am Fließband, zieht mit zwei Schraubenschlüsseln gleichzeitig zwei vorbeisausende Schrauben an einem Gerät an, gerät aus dem Takt, schraubt an des Vorarbeiters Nase herum und wird schließlich in die Maschinerie gezogen.

Die Szene, die den Fortschritt ad absurdum führt, ist deshalb so ikonisch geworden, weil Chaplin zwar handgreiflich mit Dingen umgeht, doch der Zeittakt sich dermaßen steigert, dass die Handhabung aus dem Ruder läuft. Also ideale Bedingungen für Filmtricks und Pantomime.

Was mag kommen?

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Indes, der Film „Moderne Zeiten“ liegt 80 Jahre zurück, heute befinden wir uns im Zeitalter Industrie 4.0. Soll heißen: Wenn die Dampfmaschine die erste Stufe der Industrialisierung darstellt, das Fließband die zweite, der Computer die dritte, dann ist Stufe Nummer vier die weltweite Vernetzung per Internet. Wie wird Stufe Nummer fünf aussehen?

Einen Vorgeschmack auf das, was kommen mag, bot „Modern Times - in Progress“ der Projektwerkstatt Schauspiel des Fürther Stadttheaters, eine Kombination aus Tanz- und Sprechtheater. 15 Damen und Herren, allesamt mit schwarzen Perücken behelmt und mit grauen Anzügen uniformiert wie weiland die grauen Herren aus Michael Endes beklemmender Zukunftsvision „Momo“ springen, tänzeln und treten auf der Stelle herum; dabei räsonieren sie über das Wesen des Fortschritts.

Der Regie unter Michaela Domes gar kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie der Begriff Fortschritt zu definieren sei, sondern wie der Mensch mit diesen Definitionen umgeht. So sitzen ein halbes Dutzend graue Gestalten am Boden. Stupst sie ein Passant an, leiern sie wie Automaten Definitionen des Fortschritts herunter. Statt zuzuhören, schaltet der Passant die Definierer an und aus, ganz nach Belieben.

Diese Schlüsselszene hat natürlich etwas enorm Spielerisches an sich. Und gerade das Spielerische ist es doch, das neben Kunst und allerlei nützlichen und unnützen Erfindungen auch epochale Dinge hervorbringt, die das gesamte Alltagsleben umkrempeln. Allerdings immer nur in die eine Richtung: in die des schneller, mehr und weiter, in die Steigerung der Quantität bei immer kürzeren Zeitintervallen. Eine Tendenz, die das Tanzensemble genüsslich auswalzt.

Nichts gelernt

Dass darüber die Zeit zum Innehalten, zum Genießen, gar zum Erleben und Leben auf der Strecke bleibt, ist eine Erkenntnis, die schon bei „Momo“ (1973) längst nicht mehr neu war. Warum bloß, so fragt man sich, haben wir nichts daraus gelernt? Warum geht der Fortschritt nicht in die andere Richtung, also in die Entschleunigung und in die Verbesserung des sozialen Miteinanders? Doch dem steht das Konkurrenzdenken im Weg. Musikalisch wird diese These durch Queens „We are the Champions“ untermalt, wobei sich der Refrain in einer Endlosschlaufe verheddert. Soll heißen: Wer einmal oben steht, muss weiter kämpfen, um seine Position zu halten.

Wo liegt die Lösung? Schlag nach bei Goethe: Da wird aus dem altbekannten „Zauberlehrling“ rezitiert („Walle walle manche Strecke“), und am Ende folgt der Weisheit letzter Schluss, ausgerechnet Hermann Hesses verstaubtes Stufengedicht: „So nimm denn Abschied Herz, und gesunde.“ Da freut sich der humanistisch Gebildete.

Sicher mag die Entsagung, wenigstens das vorübergehende Aussteigen aus dem Kreislauf der totalen Vernetzung, Zeit und Raum für die ureigensten privaten Dinge bescheren. Ein Komplettverzicht aufs Internet ist für einen Berufstätigen heute schlicht undenkbar. Ist die Verweigerung tatsächlich ein Ansatz, die Entwicklung des Großen und Ganzen zu kippen?