Good-bye, Lola

10.9.2013, 11:40 Uhr

Sie hatte viel zu geben, und sie gab aus vollem Herzen“, sagte Pfarrer Lehmann salbungsvoll, „und sie wurde sehr...“ Er räusperte sich, fuhr dann fort: „...sehr beneidet.“ Die Trauergemeinde erstarrte, das Schluchzen ließ einen Moment lang nach. „Spinn’ ich“, zischelte Alex, „oder hat er gesagt, beneidet?“ Tine schnäuzte sich. „Ich hab’ es auch gehört“, flüsterte sie. „Er muss sich versprochen haben“, meinte Caro. „Sicher wollte er sagen, sie wurde sehr geliebt.“

Beim Leichentrunk tranken die Freundinnen Sekt, viel Sekt. „Auf Lola“, rief Alex, die eigentlich gar keinen Sekt mochte, und leerte ihr Glas, das dritte, in einem Zug. Sie tranken auf die Abenteuer, die sie miteinander erlebt hatten, auf Lolas gute Stimme und die witzigen Kolumnen, die sie geschrieben hatte, auf die unvergesslichen Abende, die sie in Lolas schönem Haus verbracht hatten, und darauf, dass man immer zu Lola kommen konnte, egal, mit welchem Problem.

Tines Zunge war schon ein wenig schwer, als sie fragte: „Wieso hat er gesagt, beneidet? Warum hätte jemand Lola beneiden sollen?“ Alex hickste. „Stimmt. Sie war nicht superreich...“ — „Nicht superschön“, fiel ihr Caro ins Wort. „Und so genial war sie auch wieder nicht“, sagte Tine, „ich meine, andere können auch was.“ — „Jetzt hör’ aber auf“, sagte Alex, „sie war meine beste Freundin!“ — „Du sprichst meinen Text“, sagte Caro empört, „sie war meine beste Freundin!“ — „Ich glaube, das war Lolas Geheimnis“, sagte Tine begütigend, „sie konnte jedem das Gefühl vermitteln, dass er ihr besonders nahestand.“ — „Es war aber nicht wahr“, widersprach Caro, „man kann nicht jedem besonders nahestehen.“ Alex hob ihr Glas. „Doch, Lola konnte es.“

Caro schüttelte sich. „Eigentlich unerträglich. Ein leuchtendes Vorbild! Da spürt man, wie schlecht man selbst ist.“ Caro kicherte. „Die heilige Lola, mit ihrer unerschöpflichen Toleranz und Menschenliebe.“ Alex schenkte allen dreien nach. „Und dazu noch so talentiert!“

„Also doch neidisch?“, fragte Caro. „Auf was denn“, sagte Alex, „man kann ja doch nichts mitnehmen, weder das tolle Haus noch die Reisen, nicht mal den Liebsten, das wird einem doch an Tagen wie heute bewusst.“ Tine zwinkerte, sie schielte schon ein wenig. „Aber gib es zu, du hattest ganz schön zu knabbern, als Lola damals dieses Buch-Angebot bekam, das dich auch gereizt hätte“, sagte sie. „Nicht halb so viel wie du, als sie sich Joschi schnappte“, gab Alex zurück. „Ist das denn ein Grund, sie umzubringen?“, sagte Caro schrill.

„Was soll das denn?“, sagte Alex. „Nichts“, sagte Caro bitter, „es war ein Unfall, das wissen wir doch alle.“ — „Was soll dann dieser Ton?“, fragte Tine. Caro beugte sich vor: „Wenn du nur einen Tick besser aufgepasst hättest, wäre es nicht passiert!“ — „Ich?“, rief Tine. — „Wer denn sonst, du standest doch daneben.“ Tine schlug auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. „Du warst genauso nah dran.“ Alex hielt sich die Ohren zu. „Hört auf, beide!“ Caro fuhr zu ihr herum. „Die beste Freundin!“, höhnte sie. „Für dich war es ja günstig, dass Lola abgestürzt ist.“ — „Bist du verrückt?“, rief Alex. „Was hätte ich denn davon?“ Caro sagte: „Na, ihre Kolumne, hab’ ich gehört.“ — „Ich bin sicher, Lola hätte das gewollt“, sagte Alex, „und an deiner Stelle wäre ich ganz leise. Du singst ja jetzt in Lolas Band, oder?“ — „Das mache ich für Lola!“, rief Caro mit überschnappender Stimme. „Sicher“, sagte Tine, „und es ist reiner Zufall, dass das schon immer dein Traum war.“ — „Tine, du begibst dich auf ganz dünnes Eis“, warnte Alex, „so viel man hört, hast du es ja übernommen, den trauernden Witwer zu trösten.“ — „Dazu sage ich gar nichts.“

Tine presste die Lippen zusammen. „Musst du auch nicht, alle wissen es“, sagte Caro. Sie schwiegen. Alex bestellte eine weitere Flasche Sekt. Die anderen beiden wehrten erst ab, ließen sich dann aber doch nachschenken. „Mädels, reißt euch zusammen“, sagte Alex, „Lola zuliebe. Es war ein Unfall, ein dummer, tragischer Unfall.“ — „Ich hab’ nie etwas anderes geglaubt“, versicherte Caro. Tine hob ihr Glas. „Auf Lola! Und keine von uns war ihr neidisch. Wir haben sie doch geliebt.“