Im Liebesrausch: Frankens Igel leben brandgefährlich

9.7.2017, 06:00 Uhr

Im Liebesrausch und auf Futtersuche sind derzeit die Igel. Das hat Folgen. © dpa

Wir haben mit Ingrid Plesch vom Landesbund für Vogelschutz, kurz LBV gesprochen. Sie ist die "Mama" der Igelstation in Oberasbach. Mangels Futter in freier Natur rät sie mittlerweile, ganzjährig zuzufüttern.

Frau Plesch, wie geht es den Igeln derzeit?

Plesch: Es geht ihnen generell sehr schlecht, nicht nur, weil die Igelmänner auf Hochzeitsreise sind, um ihre Gene möglichst weit zu streuen und dabei unter die Räder kommen. Zu allem Übel sind sie am Verhungern.

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Wie das, das war doch stets das Herbst- und Winterproblem, oder?

Plesch: Mangels Futtertieren in der freien Flur wandern viele Igel in naturbelassene Gärten in die Städte, wo das Straßennetz noch enger ist. Die wenigen Insekten, die es wegen der momentanen Trockenheit noch gibt, fressen den nachtaktiven Igeln tagsüber die Vögel weg. Nachts locken warmer Asphalt sowie unter Laternen heruntergefallene Insekten den Igel in die Gefahrenzone Straße.

Ingrid Plesch ist "Mama" auf einer Igelstation.

Igel erkennen Straßen durchaus als Gefahr und warten teils minutenlang ab, bevor sie sich auf den Weg machen, sagt der LBV. Haben Sie das schon beobachtet?

Plesch: Ja, direkt vor meiner Haustür. Es ist denkbar, dass das Geräusch der eigenen Stacheln auf dem harten Asphalt verhindert, dass er ein sich näherndes Fahrzeug hört. Doch die Erschütterung des Bodens nimmt er auf jeden Fall wahr, nur dann ist es meist schon zu spät. Und Zusammenrollen hilft ihm gegen Autos nichts.

Woher rührt der Futtermangel, der die Igel so herumtreibt?

Plesch: Kurz gesagt, vom Klimawandel sowie unserer ausgeräumten Natur mit großen Ackerflächen ohne Hecken und Sträucher, die als Unterschlupf nicht nur für die Igel dienen könnten, sondern auch für seine Futtertiere. Gärten, in denen kein Wildkraut und kein herumliegendes Blättchen akzeptiert werden, bedeuten nicht nur für Stacheltiere, sondern auch für Vögel Hunger. Außerdem haben Vergiftungen massiv zugenommen, da zu viele Spritzmittel zum Einsatz kommen. Igel und Vögel verhungern nicht nur wegen des dadurch reduzierten Futterangebotes, sondern können auch an vergifteten Insekten sterben. Immer mehr Igel haben Leber- und/oder Nierenprobleme.

Wie erkennt der Laie ein geschwächtes Tier?

Plesch: Wenn man die per se nachtaktiven Tiere tagsüber antrifft, kann man davon ausgehen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ein Igel, der irgendwo herumliegt, sich langsam oder torkelnd bewegt, hat ein Problem. Ein gesunder Igel hat eine ovale, rundliche Form. Ist er lang und dünn, braucht er auf jeden Fall Hilfe.

Und was heißt das?

Plesch: Wenn es so warm ist wie derzeit, muss man als allererstes nach Fliegeneiern suchen. Die Schmeißfliegen riechen sofort, wenn ein Igel geschwächt ist. Schlüpfen die Maden, bohren sie sich durch die Haut, kriechen in alle Körperöffnungen und fressen den Igel lebendig auf. Mit Speiseöl lassen sich sowohl die Fliegeneier gut entfernen als auch die Körperöffnungen vor einem Befall der Maden schützen. Wie genau die Erste Hilfe aussieht, habe ich auf meiner Internetseite beschrieben. Bei Fragen bitte anrufen! Bei Verletzungen sollte man einen Tierarzt aufsuchen und schwache Tiere nicht gleich gegen Parasiten behandeln lassen.

Wieso?

Plesch: Ist ein Igel geschwächt, benötigt er erst mal Elektrolyte und Vitamine. Bitte nicht sofort mit Flohmitteln und Entwurmung beginnen, denn das endet oft tödlich.

Wann ist denn mit dem ersten Nachwuchs zu rechnen?

Plesch: In der Rheinebene sind schon die ersten Igelbabys gesehen worden, dort ist es milder. Aber auch bei uns ist es bald so weit. Igelkinder werden nach etwa 30 Tagen geboren. Eine Igelmamabekommt zwischen drei und zwölf Junge.

Zwölf, ist das nicht etwas viel?

Plesch: Das habe ich schon erlebt: Ein Baby nach dem anderen, teils schon mit Madenbefall, wurde mir vor Jahren gebracht und zuletzt noch die schwer verletzte Mutter.

Was tun Sie mit Ihren gesund gepflegten Tieren?

Plesch: Wir setzen die Igel nicht einfach aus, sondern wildern sie betreut aus.

Wie funktioniert das?

Plesch: Ich arbeite mit ein paar Igelfreunden zusammen, die viel Erfahrung haben. Sie bringen die Igel in Außengehegen unter. Dort lernen sie ein paar Tage, wie das
mit Schlaf- und Futterhaus funktioniert. Haben sie sich eingewöhnt. kann das Gehege geöffnet werden und der Igel sich mit seiner neuen Umgebung vertraut machen. Er ist frei, sollte aber weiter Zugang zu Schlaf- und Futterplatz haben.

Wildern Sie die Tiere hauptsächlich hier in der Region aus?

Plesch: Ja, zum Beispiel in Großhabersdorf. Aber vier meiner Igelkinder vom vorigen Jahr sind im Fichtelgebirge untergekommen. Die zwei bei mir im Garten musste ich in ein gefährliches Umfeld entlassen: Mara, die im Winter 2015/16 bei mir war, hat im Frühjahr wieder vorbeigeschaut. Ich habe sie gecheckt, es ging ihrgut. Aber Edgar ist in der Lagenäckerstraße, die eine Häuserzeile hinter meinem Garten entlangführt, überfahren worden. Derzeit kursiert ein Video von Tierfreunden, das Bilder eines Igels zeigt. Im unterlegten Text bittet er Autofahrer, Rücksicht zu nehmen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

ZIm Internet hat Ingrid Plesch unter igelstation-oberasbach.de eine Fülle an Informationen zusammengetragen. Telefonisch ist sie unter (09 11) 99 60 60 zu erreichen. Der LBV informiert unter www.igel-in-bayern.de.