Sorgloser Umgang mit Kostbarkeiten

11.5.2011, 22:00 Uhr

Die Nachricht von den 20 Tonnen war für Traudel Cieplik ein Schock, auch wenn sie wusste, dass in den Supermärkten viel Essbares liegenbleibt. Die 67-Jährige leitet die „Fürther Tafel“, wo Bedürftigen Lebensmittel ausgehändigt werden, die im Einzelhandel übrig und gut essbar sind. Zehn Ausgabestellen unterhält die Tafel zehn Jahre nach ihrer Gründung in der Stadt und im Landkreis Fürth. 6000 Menschen beziehen dort Gemüse, Brot, Milch und mehr.

„Diese Leute brauchen unsere Hilfe“, sagt Cieplik. Doch sie klagt auch über schwarze Schafe. Es komme vor, dass Leute die Ausgabestelle verlassen und vor der Tür Gebäck achtlos wegwerfen oder eine ganze Schachtel Eier abstellen. Vorfälle, die Cieplik als Betrug betrachtet — auch an den anderen Bedürftigen. Werden die Übeltäter erwischt, droht der Entzug des Berechtigungsausweises.

Auf Tafel-Ebene mögen sich Einzelfälle so lösen lassen. Am deutschen Essensmüllberg ändert das wenig. Sie selbst habe ihr Einkaufsverhalten im Lauf ihres Engagements für die Tafel „total verändert“, sagt Cieplik. „Ich kaufe viel bewusster ein, lasse den Salat weg, wenn ich schon Tomaten und Gurke im Einkaufswagen habe.“ Den Überfluss hierzulande aber sieht sie mit gemischten Gefühlen. Denn: „Bei der Tafel profitieren wir davon ja auch.“ Eine diskutierte gesetzliche Regelung, wonach dem Einzelhandel der Verkauf von Lebensmitteln bis nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum erlaubt wäre, gefällt Cieplik nicht: „Ich weiß nicht, ob wir unsere Kunden dann noch versorgen könnten.“

Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgelaufen, müssen Lebensmittel keineswegs umgehend im Mülleimer landen. Gabriele Semmler, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Bayern, predigt das immer wieder auch dann, wenn sie in Fürth Einkaufstrainings mit Singles, Übergewichtigen oder jungen Müttern absolviert. Die Faustregel laute: Je länger die Zeitspanne bis zum Ablauf des MHD, desto länger könne man den Termin überziehen. Bei frischen Produkten wie Milch hingegen sei die Spanne kurz und das MHD auf den Tag genau angegeben. Der Spielraum sei hier also entsprechend enger.

Zu besonderer Vorsicht rät Semmler bei eiweißhaltigen Lebensmitteln wie Fisch oder Fleisch. Wenn sich die Struktur der Proteine verändere, könne das rasch zu einer Lebensmittelvergiftung führen. Gefährdet seien vor allem ältere Menschen oder Kleinkinder. Abgepacktes Hackfleisch oder Frischgeflügel sei daher mit einem Verbrauchsdatum versehen. Und das, warnt Semmler, dürfe man nicht überschreiten. „Wenn ich merke, dass ich das eben gekaufte Hackfleisch doch nicht zubereiten kann, sollte ich es sofort einfrieren oder durchgaren, denn dann kann ich es noch zwei, drei Tage im Kühlschrank aufbewahren.“

Dass im übervollen Kühlschrank Lebensmittel verderben, lässt sich laut Semmler vermeiden. Man dürfe nur nicht hungrig einkaufen und sollte eine Einkaufsliste mitnehmen, Speisereste weiterverarbeiten und öfter mal improvisieren, indem man die Pellkartoffeln von gestern mit Milch zum Gratin weiterverarbeitet statt sie wegzuwerfen, weil keine Sahne im Haus ist.

Das ist im Sinne von Martin Horn (62). Der Fürther Psychologe gehört einer Generation an, der beigebracht wurde, dass Lebensmittel etwas Wertvolles sind, „fast etwas Heiliges“. Er findet, es ist Zeit, sich das wieder bewusst zu machen. „Wir müssen uns wachhalten und Kindern diese Werte vermitteln.“ Nicht mit dem Verweis auf hungrige Kinder in Indien, eher mit „Puzzlestücken, die sich zu einer Haltung fügen“, wie der Bemerkung bei Tisch, keine drei Fleischküchle zu zerstochern, sondern erst mal eins zu nehmen. Horn denkt dabei nicht nur an fassbare, sondern auch an „geistig-seelische Lebens-Mittel“, an Liebe etwa oder Anerkennung. Angesichts von 20 Tonnen Essensmüll fragt er sich, wie sehr wir diese schätzen.