Wenn die Mädchen Bauecken erobern

14.1.2008, 00:00 Uhr

«Als Frau wird man nicht geboren, man wird dazu gemacht.» 1949 schrieb Simone de Beauvoir diesen Satz. Eine schlichte Feststellung, die das Denken umkrempeln sollte. Aber wie werden Mädchen und Jungen heute auf ihre Rolle im Leben vorbereitet? Gabi Woitas (39), Leiterin der städtischen Kindertagesstätte «Freche Früchtchen», hat ein Beispiel: «Es ist schon so, dass die Bauecke meist von den Jungs frequentiert wird - aber wir machen Tauschtage.» Dann ist das Reich der Bauklötze und Spielautos das Revier der Mädchen. «Und die Jungs», sagt die Erzieherin, «sind dann plötzlich auch in der Puppenecke zu finden.»

Das ist noch nicht allzu lange so. Karin Neroy (64), die von 1965 bis zum August 2007 Lehrerin für Handarbeit, Hauswirtschaft und Werken an der Pestalozzischule war, erinnert sich, dass während ihrer Ausbildung streng getrennt wurde: Die künftigen Hausfrauen strickten, die angehenden Männer griffen zum Hammer. «1966/65 gab es die ersten Knaben im Handarbeitsunterricht», sagt die Pädagogin. Die Lust aufs Häkeln hielt sich bei einigen aber in engen Grenzen. Es gab auch Väter, die nichts davon hielten, dass ihre Söhne sich mit «Weiberkram» beschäftigen sollten.

Andere fügten sich ins Unvermeidliche. Schmunzelnd zitiert die Lehrerin einen Knirps, der wusste, warum er sich mit Nadel und Faden quält: «Das ist, weil wenn du einmal keine Frau bekommst, musst du das selber können.» Mittlerweile sind die Berührungsängste mit den vermeintlich weiblichen Künsten fast vergessen. Nur eine Kleinigkeit ist Karin Neroy aufgefallen: «Die Mütter können noch immer nicht die Finger vom Strickzeug ihrer Söhne lassen.»

Birgit Bayer-Tersch (46), Oberbürgermeisterkandidatin der CSU, weiß: «Für meine Mutter war klar, dass eine Frau, die ,Extratouren‘ macht und studiert, wahrscheinlich allein und kinderlos bleiben muss.» Bis 1977 habe zudem der Ehemann über die «Lebensführung» seiner Frau entscheiden dürfen. Ohne seine Erlaubnis durfte sie etwa nicht arbeiten gehen.

«Als ich mich 1986 entschied, eine gesicherte Existenz zu kündigen, um eine weitere Ausbildung zu machen, da stimmte mir mein Vater zu - allerdings mit dem Gedanken, dass ich ja notfalls durch eine Heirat versorgt sein würde . . .» Für ihre Töchter, sagt die Politikerin, ist das alles Vergangenheit: «Ihnen stehen alle Türen offen, sie können sich ganz frei entscheiden, und das ist sehr gut so.»

«1993 wurde ich Behördenleiterin», erinnert sich Susanne Kramer (47), Chefin des Bürgermeister- und Presseamts, «damals gab es drei weitere Frauen in dieser Position.» Heute sind es zwölf von insgesamt 38 Amtsleitern. «Probleme gab es nie», sagt sie, «auch damals nicht. Ob weiblich oder männlich, das spielt bei der Arbeit einfach keine Rolle.»

Das neue weibliche Selbstbewusstsein hat auch in der Justiz zu Veränderungen geführt. «Beinahe von einer Feminisierung» möchte Horst Arnold (45), Richter am Amtsgericht, sprechen: «Es gibt heute wesentlich mehr Richterinnen und Staatsanwältinnen.» Allerdings sitzen nach seiner Einschätzung mehr Männer auf der Anklagebank: «Das Verhältnis dürfte drei zu eins sein», sagt der Richter und Fürther SPD-Chef.

Roland Gradl (45), Leiter des Sachgebiets Einsatz in der Polizeiinspektion, sieht für selbstbewusste Frauen, die ihre Rechte kennen, sogar die Chance, Straftaten zu verhindern: «Wer sich zum Beispiel bei einer sexuellen Belästigung zur Wehr setzt, kann unter Umständen den Täter in die Flucht schlagen.»

Aktueller denn je sind die Worte der Simone de Beauvoir für die Musikerin und Kabarettistin Lizzy Aumeier (43). Das große Ziel ist für sie längst nicht erreicht. Auch, weil zum Beispiel «bei einer Frau alles viel schneller als obszön eingestuft wird». Moral, versichert die Künstlerin, sei ein Instrument, «das sich gegen Frauen richtet». Und sie zitiert Alice Schwarzer: «Wenn man uns sagt: Überlasst uns nur all diese lästigen Sachen wie Macht, Karrieren, Ehre, seid zufrieden, dass ihr so seid; wenn man uns das sagt, sollten wir auf der Hut sein!"

Mit einem kräftigen «Jein» antwortet Dekan Georg Dittrich (50) auf die Frage, wie es um die Gleichberechtigung in der katholischen Kirche steht: «Einerseits haben Frauen heute zentrale Positionen inne, eine Ordinariatsrätin leitet zum Beispiel die Personalabteilung im Erzbistum Bamberg.» Andererseits, sagt Dittrich, werden im Kirchenrecht Frauen noch immer nicht in gleicher Weise behandelt wie Männer. Es gibt kein weibliches Priestertum, und das Frauenbild ist «von offizieller Seite manchmal ein bisschen sehr konservativ».

Auf jeden Fall aber seien Frauen heute die «Garanten von Glauben und Kirchenbindung». Kernthemen, wie Kommunion- oder Firmunterricht, lägen in ihrer Hand. «Männer sind eher in der Kirchenverwaltung tätig, wenn’s um Geld geht oder ums Grillen beim Pfarrfest.» Die «schwierigen Geschichten», so Dittrich, machen Frauen («Interessieren Sie mal Pubertierende für Glaubensfragen»). Sein Resümee: «Frauen sind einfach stärker - und ohne sie könnten wir den Laden dicht machen.»