Gunzenhausen: Neuer Chef auf der "Höh"

30.11.2017, 06:07 Uhr

Der Mann kann seine Herkunft nicht verleugnen. Er stammt aus Nordrhein-Westfalen, genauer aus Oberhausen, nah an der holländischen Grenze. Da sagt man "Guten Tag" und das tut der 52-jährige Theologe auch auf dem Spaziergang durch das weitläufige Gelände, wenn ihm jemand begegnet. Das fränkisch-bayerische "Grüß Gott" ist ihm noch fremd. Freundlich und neugierig blickt er durch seine randlose Brille seinem Gegenüber entgegen. Mit weit ausholenden Armbewegungen erzählt er davon, dass er in den vergangenen drei Monaten lediglich "an der Oberfläche" gekratzt habe. Seit dieser Zeit arbeitet sich der promovierte Theologe in die spezielle Welt der Hensoltshöhe ein. "Heute war ich zum Beispiel in der Wäscherei. Das war vielleicht spannend", erzählt er begeistert.

Und so gibt es jeden Tag Neues zu entdecken für einen, der die letzten 19 Jahre als Gemeindepfarrer im nordrhein-westfälischen Nümbrecht gelebt und gearbeitet hat, einer Kleinstadt im Oberbergischen Kreis, 20 Kilometer von Gummersbach entfernt. Ein Wechsel dieser Art war nicht vorgesehen in seinem Leben, bekennt er freimütig. Entsprechend überrascht war er, als der Anruf von Rektor Eberhard Hahn kam: "Wir wollen Sie hier haben!"

Der Familienrat tagte lange und ausführlich. Dazu gehören Ehefrau Sylke, eine studierte Bibliothekarin, und die 19-jährige Tochter Mirjam, die im vergangenen Schuljahr am Gymnasium in Gummersbach ihr Abitur "gebaut" hat. Die Beckers interpretierten den Anruf als "Zeichen Gottes", dem sie sich nicht entziehen wollten. Sie entschieden sich deshalb einstimmig für den Wechsel nach Gunzenhausen und bauen nun ein Haus in der Südstadt.

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Der Vertrag mit Wolfgang Becker läuft zunächst über acht Jahre, mit Option auf Verlängerung. Der Geistliche schätzt die "überschaubare Größe" seines neuen Dienstortes und "dass hier nicht alles anonymisiert abläuft". Das spürte er bereits bei einigen Begegnungen mit Bürgern der Stadt: "Überall schlug mir das große Vertrauen und Wertschätzung gegenüber der Hensoltshöhe entgegen". Dieses Kapital will Becker nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Er verspricht, die eingeschlagene Linie seines Vorgängers Eberhard Hahn fortzusetzen: "Wir werden uns nicht abkapseln."

Theologische Kompetenz bringt Becker nach eigener Einschätzung für das neue Amt auf jeden Fall mit. Erworben habe er sie durch seine Promotion mit einer Arbeit über "Wilhelm Busch als evangelistischen Verkündiger". Daneben war er theologischer Studienassistent in Tübingen und erlangte einen Ruf durch verschiedene Veröffentlichungen und Mitgliedschaften in einschlägigen Institutionen im missionarisch-gemeinschaftlichen Bereich. Bilanzen konnte er schon vorher lesen, ein Crashkurs in Sachen Betriebswirtschaft an der Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin machte ihn zusätzlich fit für die neue Aufgabe. Ansonsten bezeichnete er sich als "differenziert-denkenden Menschen, der sich "als Person einbringt". Lesen ist seine große Leidenschaft außerhalb des dienstlichen Lebens. Biographien und Historisches liegen bei ihm ganz oben im Bücherregal, "aber auch Krimis". Daneben will er gerne mit dem Rad die Umgebung von Gunzenhausen näher kennenlernen.

Auf den künftigen Rektor der Hensoltshöhe warten große Aufgaben. Zum einen gelte es die vor zwei Jahren veränderte Rechtsform in eine Stiftung verantwortlich weiterzuführen. Dann müsse er die besondere DNA der Hensoltshöhe noch weiter kennenlernen und schließlich sind die Arbeitsplätze der rund 500 Beschäftigten in ihrer Klinik, den Bildungseinrichtungen, Seniorenheimen, Tagungs- und Gästehäusern abzusichern und bei Bedarf sogar auszubauen.

Becker ist davor nicht bange, im Gegenteil: "Ich freue mich auf die neuen Herausforderungen." Mit seinem kaufmännischen Kollegen im Vorstand, Burkhard Weller, und Diakonisse Marion Holland will er sich regelmäßig abstimmen und mit hoher Professionalität, Wirtschaftlichkeit sowie mit einer missionarisch-diakonischen Identität der Beschäftigten dem Motto der Stiftung Hensoltshöhe gerecht werden: "Wo Himmel und Leben sich berühren." Angesichts einer stetig sinkenden Schwesternzahl und einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft kein leichtes Unterfangen.

Den Markenkern im Blick

"Wir brauchen", sinniert der Theologe, "Mitarbeiter, die es als ihre Aufgabe ansehen, im Geist Christi zu arbeiten, sonst wären wir austauschbar". Klare Worte, klare Kante. Becker setzt noch einen drauf: "Wir müssen weiterhin unseren geistlichen Kern zum Markenkern der Hensoltshöhe erheben."

Wolfgang Becker ist ein dem Menschen zugewandter Typ, er will die traditionsreiche Institution "erfolgreich mit einem großen Team von engagierten Mitarbeitern" sicher ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhundert führen. Was Becker gar nicht mag, "ist das Hintenherum-Gerede". Vielmehr legt er großen Wert auf ein offenes Wort. Er spricht von Vergebungskultur und wünscht solch ein Verhalten in allen Arbeitsbereichen. "Das ist christlich", sagt er. Deshalb legt er auf zwei Anforderungen Wert: Kompetenz im Fachgebiet und geistliches Leben. Ob er solche Menschen auch findet? "Das ist meine Sorge", gibt er unumwunden zu. Aber als gläubiger Christ baut er hier auf Gottes Hilfe.