Ausgebeutet und entrechtet: Ausstellung in Herzogenaurach

11.4.2020, 07:57 Uhr

Es ist eines der seltenen Bild-Dokumente in Herzogenaurach über die Zeit von Krieg und Zerstörung menschlicher Schicksale mit Beginn des NS-Regimes und Zweiten Weltkriegs.

"Forschungslücken zu füllen, das ist unsere Aufgabe." Irene Lederer, Leiterin von Stadtmuseum und Stadtarchiv und ihr Stellvertreter, der Historiker Christian Hoyer, arbeiten aktuell an einem Kapitel dieser rechercheintensiven Aufgabe: Das Schicksal von Zwangsarbeitern während der NS-Zeit in Herzogenaurach und Umgebung.

Zwangsarbeiter mussten mit Kriegsanfang die Waffenproduktion im Land in Gang halten, waren ausgebeutete, rechtlose Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, im Handel und bei Bauprojekten.

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Die Eisenbahnbrücke in Herzogenaurach, der Fliegerhorst, die Kanalisation, die Kläranlage wurden maßgeblich von Zwangsarbeitern gebaut. Aufräumarbeiten nach der Hochwasserkatastrophe von 1941 mussten ebenfalls von ihnen geleistet werden. 12 Millionen Zwangsarbeiter waren allein auf "Reichsgebiet" erfasst.

Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz referierte Christian Hoyer seinen Forschungsstand bereits im Gymnasium Herzogenaurach im Rahmen der alljährlichen Gedenkfeier.

Beeindruckt waren Zuhörer insbesondere vom Zeitzeugen Emil Gawronski, der in jungen Jahren als Zwangsarbeiter aus Polen nach Dortmund kam und schließlich in Herzogenaurach blieb und sich ein Leben aufbaute.

Einen Zwischenstand zur Ausstellung über Zwangsarbeit, die wegen der Corona-Krise voraussichtlich erst im Februar 2021 gezeigt werden wird, berichteten Irene Lederer und Christian Hoyer. Ein schwieriges, vielfach unerforschtes Kapitel liegt vor ihnen. Zeitzeugen, die noch bekunden könnten, was ab 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen geschah, sind selten und haben sich trotz mehrmaliger Aufrufe nur vereinzelt zu Wort gemeldet.

Verbrieft sind Berichte vom "Russenlager" mit hungernden Menschen am Goldberganger in Herzogenaurach, von einer öffentlichen Hinrichtung eines Zwangsarbeiters in Falkendorf, bei der alle polnischen Landarbeiter zusehen mussten. Recherchen im Staatsarchiv Nürnberg, Coburg, im Staatsarchiv Bamberg oder Bundesarchiv wären möglich, allerdings aufwändig. Akten aus der NS-Zeit in Herzogenaurach wurden vernichtet oder gingen verloren, sodass manche Hinweise nur über Alltagsdokumente rekonstruiert werden können: Eine Rauchermeldekartei erwies sich als wertvoll.

In den Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution, liegen 17 Millionen Dokumente. Dort das Richtige zu finden, braucht ebenfalls Zeit. Was noch immer wenig bekannt ist: In Bad Arolsen in Hessen befindet sich das weltweit größte Archiv über die Opfer und die Überlebenden des NS-Regimes. Auf der Website kann man Online-Anfragen stellen. Dort entdeckten die Herzogenauracher Historiker Lederer und Hoyer den Scan einer Ausländerkartei von Herzogenaurach.

Beim umfangreichen Thema hangelt man sich von einer Stelle zur anderen. Es gab diese "KZ-ähnlichen Einrichtungen wie das Arbeitserziehungslager in Langenzenn", wie Historiker Hoyer sagt. Sie wurde geführt von der Gestapo. In der Frauenklinik in Erlangen existierte eine Abtreibungsabteilung für Zwangsarbeiterinnen. Zwangsarbeiter waren zwar bei der Krankenkasse und der Invalidenversicherung gemeldet.

Diese Organisationen verweigern jedoch aus Datenschutzgründen, wie es offiziell heißt, die Auskünfte. Was komplett fehlt, sind die Akten der Arbeitsämter. Die Historiker vermuten die ungeklärte Entschädigungsfrage als Grund dafür. Manche der aufgenommenen Spuren führen ins Ausland – ergebnisoffen.

Aufgehoben von Bürgern und dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt wurden ein Holzkästchen oder kleine Metallboxen – das Material stammte aus Abwurftanks – die Zwangsarbeiter fertigten, um sie gegen etwas Entgelt zu verkaufen. Auch existiert noch eine Puppenstube aus den Händen der Fremdarbeiter, die dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt werden soll.

Es gibt Rückmeldungen – in einem Fall aus Frankreich – in denen bekundet wird: "Alles, was ich dazu habe, sind Tränen." Dem stünden bisweilen Verharmlosungen bei Überlieferungen entgegen im Stil: "Die hatten hier doch kein schlechtes Leben."

Ist also Aufarbeitung möglich? "Manchmal hat man auch Skrupel", sagt Irene Lederer: "Womöglich tritt man jemanden auf die Zehen, wenn man Namen nennt."

Doch es sei ja längst veröffentlicht, welche Rolle auch bekannte Firmen vor 1945 spielten. Die Richtschnur müsse sein die "historische Korrektheit".