Fränkische Klettergruppe sitzt fest

3.4.2020, 17:51 Uhr

Vor gut zwei Wochen haben sie noch Witze über die Nachrichten von zu Hause gemacht. Über Hamsterkäufe und die ersten abgesagten Veranstaltungen. Als sie Ende Februar in den Flieger nach Antalya gestiegen waren, beherrschten noch andere Themen die öffentliche Debatte. Viel wurde über den Brexit und die Buschbrände in Australien geredet. Über COVID-19 eher unter ferner liefen, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Das war damals noch diese rätselhafte Lungenkrankheit, die weit weg in China herumgeht. Harmloser als die Grippe soll sie sein, hieß es.

Die sechs Individualreisenden aus der Erlanger Gegend starteten unbeschwert und unbesorgt. In dem abgelegenen Tal hinter der Küste angekommen drehte sich alles nur um eines: klettern. Immer wieder neue Herausforderungen inmitten bizarrer Felsformationen und auf gut präparierten Routen. Oft am eigenen Limit.

Brunchen bis Mittag

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Untergekommen sind sie in einem Camp, das sie mit gut einem Dutzend Leuten aus aller Herren Länder teilen. Die Freude an steilen Wänden und Überhängen, an fantastischen Ausblicken und furchterregenden Abgründen schweißt sie zusammen.

Fast bis Mittag wird auf der Sonnenterrasse gebruncht, dann geht es wieder hinein in den Fels. Abends lässt man das Erlebte sacken. Es wird gefachsimpelt, Videos geschaut, sich gegenseitig gelobt und aufgemuntert. "Menschen, die sich gerade erst kennengelernt haben werden zu einer Familie", schwärmt Lilly. Die Studentin aus Höchstadt ist mit ihren 24 Jahren die jüngste in der Gruppe. Für den 28. März war ihr Rückflug gebucht, bis zum 1. Mai wollte sie eigentlich eine neue Wohnung bezogen haben, zusammen mit zwei weiteren Reisegefährten. Sie ist sich mittlerweile nicht mehr wirklich sicher, dass das klappt.

Erst nach und nach haben sie in ihrem anatolischen Refugium mitbekommen, was sich in der Welt inzwischen getan hat. Nicht nur, weil es dort anderes zu tun gibt als Nachrichten aus Europa zu verfolgen. Mit einer ziemlich lahmen Internetverbindung, die zeitweise aussetzt, macht das Surfen keinen rechten Spaß.

Und so traf es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als sie erfuhren, dass der Flugverkehr zwischen der Türkei und Deutschland eingestellt würde und die Ausreise nur noch bis zum 20. März möglich wäre. Einige Touristen reisten daraufhin Hals über Kopf ab. Auch Lilly und ihre Gefährten dachten über einen vorzeitigen Rückflug nach. Dazu war es aber schon zu spät. Alle Flieger waren ruckzuck ausgebucht.

Die Kraxler aus Franken nahmen es zunächst einigermaßen gelassen. "Oh, geil, noch mehr Urlaub", so ging es nicht nur Lilly durch den Kopf. Die Berufstätigen unter ihnen machten sich mit dem Gedanken vertraut, mehr Urlaubstage dranhängen zu müssen. Wer kann, versucht es mit einer Art Homeoffice, nur eben fern von zu Hause.

Inzwischen klangen die Nachfragen aus Deutschland aber immer besorgter, eine Flugverbindung nach der anderen wurde gestrichen und die ständig aktualisierten Hochrechnungen über Infektionen und Tote alarmierten auch die Leute in der Kletterenklave. "Wir begannen zu verstehen, dass die ganze Sache wohl ernster ist als gedacht", schreibt Lilly.

Große Unsicherheit hat sich im Camp breitgemacht: Mal hieß es, dass die Fluggesellschaften ab 20. April wieder Ziele in Deutschland anfliegen. Keine 24 Stunden später wurde der 30. April genannt. Die Fluggesellschaft riet, sich an das deutsche Konsulat zu wenden. Dort bekamen Lilly und ihre Mitreisenden ganz lapidar zu hören, sie sollten doch bitte versuchen auszureisen.

Auch das Auswärtige Amt fordert alle Deutschen im Ausland zur Rückreise auf. Per Newsletter gibt die Behörde immer wieder neue Heimflug-Optionen bekannt, zum Beispiel über Minsk oder Addis Abeba. Am erschwinglichsten und am ehesten praktikabel erschien ihnen die Verbindung über Moskau. Doch als Lilly buchen wollte, erfuhr sie, dass Russland den internationalen Flugverkehr einstellt.

Über den Landweg?

Dann vielleicht über den Landweg? Für die Heimfahrt ein Auto mieten oder ein gebrauchtes kaufen? Auch das wurde gedanklich durchgespielt und wieder verworfen. Niemand kann ihnen sagen, welcher der vielen Grenzübergänge auf dem Weg zu gegebener Zeit offen sein würde.

Immerhin steht ein Flug mit Turkish Airlines am 20. April von Istanbul nach München in Aussicht. "Das ist momentan unsere Hoffnung", so die reiseerfahrene Studentin.

Beim Auswärtigen Amt haben sie sich für die laufende Rückholaktion registrieren lassen. Bislang ohne Feedback. Auf der Website der Behörde ist eine Liste mit rund 50 Staaten veröffentlicht, für die Rückholaktionen angelaufen sind. Die Türkei ist nicht dabei (Stand 3. April).

Abgesehen von der bedrückenden Ungewissheit geht es den Gestrandeten in ihrem Bergnest erstaunlich gut. Corona ist noch nicht richtig angekommen. Die Gäste fühlen sich ausgesprochen wohl bei den Bewohnern, "die es immer noch wagen glücklich zu sein und Spaß zu haben", so Lilly. Man fühle sich mitunter gar wie "gestrandet auf einer Insel der Glückseligen". Klagelieder klingen anders.

Ausbreitung beschleunigt sich

Sorgen aber macht den festsitzenden Bergsportlern nicht nur die ungewisse Ausreise. Was ist, wenn die Camps schließen müssen? Was passiert, wenn jemand sich infiziert oder anderweitig erkrankt? Wie gut ist das türkische Gesundheitssystem auf die Pandemie vorbereitet? Noch sind die offiziellen Zahlen von Infizierten und von Todesopfern relativ niedrig, die Anzahl der Tests allerdings auch. Der Bosporusstaat schickt sogar Flugzeuge mit Schutzausrüstung nach Italien und Spanien. Aber die Ausbreitung soll sich rasant beschleunigen und mittlerweile werden auch hier Schulen geschlossen und Großveranstaltungen abgesagt.

Den festsitzenden Erlangern bleibt bis auf weiteres nur Abwarten und Tee trinken. Das zumindest kann man noch immer unbeschwert tun in ihrem Kletterparadies.