2. Juni 1966: Sie tobten sich aus…

Die Hälfte dieser Tanzbesessenen hatte der „Teenager-Twen-Expreß“ aus Stuttgart herbeigebracht. Andere stammten aus Augsburg und München, viele aber auch aus Nürnberg. Alle miteinander sind sie Anhänger von modern gemachten Schülerzeitschriften.

Zweimal jährlich werden diese „Sternfahrten“ mit der Bundesbahn veranstaltet, und seit 1963, als sich die begeisterten Verehrer des Beatle-Quartetts aus London zum ersten Male auf dem Lorelei-Felsen und später in Bregenz, Garmisch, Straßburg und Neustadt an der Weinstraße trafen, mangelt es nicht an Passagieren. Schüler und Lehrlinge von 16 Lenzen an, von Kopf bis Fuß im Lieblingshabitus, lassen sich das Ereignis nicht entgehen, bei schwindelerregenden Rhythmen auf irgendeinem Tanzboden unter sich zu sein.

Von Beifall umtobt, kündigte der 23jährige Stuttgarter Edgar Kube, Student der Volkswirtschaft, gestern die Bands an, die schließlich für Hitze im Saal sorgten: „The German Bonds“ aus Hamburg, „The Speeders“ aus Tübingen und „The Shot Guns“ aus Augsburg. Und als die ersten in die Saiten griffen, da konnte man sehen, daß keiner unter dieser Schar von Besessenen an Bandscheibenschäden litt. Sie bäumten sich, krümmten sich, schlenkerten Arme und Beine, zitterten hingebungsvoll und trugen dabei betont gelangweilte Gesichter.

„Der Foxtrott ist das einzig Konservative in diesem Repertoire“, meinte Karl-Oskar Riemer vom Martin-Behaim-Gymnasium, der für die „Presse der Jugend in Bayern“ (PdJ) im Arbeitskreis Nürnberg tätig und Herausgeber der Jugendzeitschrift „Streiflicht“ ist. Sonst wurde wahrhaftig meistenteils „geschehkt“ – im bodenlangen Kaminrock, mit exakt verarbeiteten „Sloop“ (Großvater-Ulster), im Blazer oder weiten Pulli über hautengen Hosen, im Gaucho oder Poncho. Mit klassisch geschnittenen „Römerköpfen“ kamen die einen daher, die anderen mit ondulierten Mähnen; Mädchen wurden mit Jungen verwechselt und Jungen mit Mädchen.

Die Existentialisten jüngster Prägung gaben ihre Schau bis 19 Uhr – dazwischen auch für die „Mittwochsparty“ des Süddeutschen Rundfunks. Eine 18jährige Oberschülerin holte ihr drittes (Ersatz-)Schuhpaar aus einem Köfferchen aus Rohrgeflecht, als es wieder in den Zug via Stuttgart einstieg. Der Tag der Verrenkungen war vorüber …