6. April 1970: Der teuerste Winter, den es je gab

6.4.2020, 07:05 Uhr

Auch im Wohnungsbau – hier am Marienberg – sind die ruhigen Zeiten vorbei. Die Gastarbeiter freuen sich sogar darüber.

Schnee und Frost rissen heuer nicht nur in die Familienkasse große Löcher Fazit: der teuerste Winter, den es je gab Am meisten litt das Baugewerbe – Rund 33 Millionen Mark gab das Arbeitsamt für Schlechtwettergeld aus – 1,3 Millionen "Tagewerke" fielen in der kalten Saison aus – Stadtausgaben für Schneeräumen und Streuen betragen fast eine Million Mark

Noch weiß kein Mensch, ob in diesem Jahr der Winter bis Pfingsten dauert. Aber fest steht heute schon, daß er eine Unmenge Geld verschlungen hat. Familienväter griffen zähneknirschend in den Geldbeutel und beglichen zusätzliche Heizungskosten. Die Stadt warf für das Schneeräumen und Streuen fast eine Million Mark buchstäblich auf die Straße und ausnahmsweise redete sogar die Bundesbahn vom Wetter, weil sie mit hohem Aufwand Schienenwege freihalten mußte.

Am meisten jedoch litt bisher das Baugewerbe. Eine genaue Abrechnung steht zwar noch aus, aber das Arbeitsamt Nürnberg – im wesentlichen für den Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen zuständig – rechnet mit 33 Millionen Mark Schlechtwettergeld. Im vergangenen Jahr hatten für diese Ausfälle auf dem Bau noch 15,3 Millionen Mark ausgereicht. "Heuer mußten sogar Unternehmen kapitulieren, die es bisher immer verstanden hatten, die Winterperiode zu überbrücken", berichten die Fachleute vom Arbeitsamt, Friedrich Karl Schwab, Rudolf Riedl und Karl Siegert.

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Ihnen waren heuer und in den letzten Monaten des vergangenen Jahres über 1,3 Millionen "Ausfalltagewerke" (1968/69: 766.000) angezeigt worden. Die Hälfte davon entfällt allein auf die Stadt und den Landkreis Nürnberg. "Am 26. November ist es losgegangen und bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist für die Schlechtwettergeldzahlungen am 31. März so geblieben. Und selbst zu diesem Zeitpunkt lag der Tiefbau – etwa beim Hafen- oder beim Autobahnbau – noch auf der Nase", erklärt Friedrich Karl Schwab und sein Mitarbeiter Karl Siegert ergänzt: "Im Schnitt lag jede Baustelle dreieinhalb Monate lang still." Eine Folge der langen Pause wird sich erst in der nächsten Zeit auswirken: relativ viele Bauarbeiter wollten nicht länger auf die Schlechtwettergeldzahlungen angewiesen sein und suchten sich einen neuen Arbeitsplatz. Sie wanderten in die witterungsunabhängigere Industrie ab.

Das zeigt sich insbesondere schon an der Zahl der offenen Stellen im Bau und Baunebengewerbe. In der Stadt und im Landkreis Nürnberg werden zur Zeit rund 2000 Facharbeiter und 900 Hilfsarbeiter für den Bau gesucht. Ob die Abgewanderten wieder zurückkommen? Daneben bearbeitete das Arbeitsamt in dieser Wintersaison über 10 500 Zuschußanträge (Vorjahr knapp 3200) der Bauhandwerker für warme Winterbekleidung. Friedrich Karl Schwab schätzt die dafür bereitgestellte Summe auf nochmals rund eine Million Mark. Überspitztes Fazit: der teuerste Winter, den es je gab, ein Winter, dem langsam nur noch das Heer der Skifahrer Geschmack abgewinnt.