Als sich ein Chemiker ein Schloss in Steinbühl baute

19.6.2019, 15:01 Uhr

Ein Mitarbeiter der Firma Auto Greißinger schuf diese Buntstiftzeichnung der Villa 1948 nach einem Foto aus der Vorkriegszeit. © P. R. (Leihgabe von Christa Fraas)

Bei der Schloßäckerstraße in Steinbühl fragt man sich zu Recht, wie sie wohl zu ihrem Namen gekommen sein mag, denn sowohl von Schloss als auch von Äckern keine Spur. Nun ist die Bezeichnung wesentlich älter als die Straße, die erst um 1865 angelegt wurde. Besagte Äcker gehörten zum Schloss Steinbühl – es stand bis zu seiner Zerstörung 1945 gleich um die Ecke in der Wiesenstraße 19 – und sind heute überbaut.

Tatsächlich gab es aber auch in der Schloßäckerstraße im Stadtsüden selbst einmal ein Schloss. Zumindest sah es wie eines aus, das Haus mit der Nummer 34. Eine Zeichnung, die uns NZ-Leserin Christa Fraas zur Verfügung gestellt hat, überliefert das Aussehen des Prachtbaus vor dem Zweiten Weltkrieg.

Wichtiger Brötchengeber im Stadtteil

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Bauherr des "Bürgerschlosses" war 1869 der Chemiker Friedrich Wilhelm Heyne (1804–1885). Weit hatte der’s nicht zur Arbeit: Die Gebäude seiner Fabrik, in der künstliches Ultramarin (ein Farbstoff) hergestellt wurde, lag gleich hinter dem Haus.

Heyne gehörte zu den wichtigsten Brötchengebern im Arbeiterviertel Steinbühl. Nicht umsonst widmete ihm die Stadt 1886 die nahe Heynestraße – was nicht im Sinne des Geehrten gewesen sein dürfte, hatte der es doch zu Lebzeiten abgelehnt, dass die heutige Birkenstraße seinen Namen tragen sollte.

Inmitten eines Landschaftsgartens ragte das von einem Satteldach bekrönte, zweigeschossige Anwesen auf. Die Längsfassaden gliederten Risalite – vorspringende Gebäudeteile –, deren Fronten und Giebel durch spitzbogige Maßwerkfenster, Ornament- und Wappenreliefs, Fialen (Türmchen) und einen Altan – ein balkonartiger Anbau – auf vier Säulen geschmückt waren.

Ein Mitarbeiter der Firma Auto Greißinger schuf diese Buntstiftzeichnung der Villa 1948 nach einem Foto aus der Vorkriegszeit. © Boris Leuthold

Der einzige erhaltene Plan trägt die später mit Bleistift hinzugefügte Unterschrift des Zimmermeisters Adam Gundel. Doch dürfen wir hinterfragen, ob er auch Urheber der Zeichnung ist. Denn kein anderer uns bekannter Entwurf, an dem Gundel mitgewirkt hat, ist derart extravagant. Vielleicht steckt also ein anderer Name hinter der Zeichnung.

Die etwas spröden neugotischen Zierformen erinnern an Werke des Nürnberger Stadtbaurats Bernhard Solger, der bei Neubauplanungen, die ihm zur Genehmigung vorgelegt wurden, des Öfteren gestalterisch eingriff. Vielleicht gehen sie auch auf das Bautechnische Bureau Adam Paul zurück, das den ersten, stilistisch aber völlig andersartigen Entwurf für die Villa geliefert hat.

Wie so oft in der Kunstgeschichte war die Pracht nur von kurzer Dauer, denn 1907 war der neugotische Bauschmuck bereits völlig außer Mode. Die neuen Hausherren, die Erben des königlichen Bezirksingenieurs Christian Schmidt und dessen Witwe Elise, beauftragten deshalb das Architekturbüro Häberle & Henrich damit, die Außenhaut der Villa umzugestalten. Tatsächlich gelang den Planern das Kunststück, den Bauschmuck in die Formen des Jugendstils zu übersetzen.

1935 übernahm das Autohaus Greißinger das Anwesen. Paul Greißinger, Sohn des Firmengründers, erinnert sich, wie sich seine Familie die alte Villa mit Verwandten und der Witwe des letzten Vorbesitzers Hans Günthner teilte.

Von einer Sprengbombe zerstört

Und daran, dass im Zweiten Weltkrieg eine Sprengbombe eine Hälfte des Hauses fortriss. An einen Wiederaufbau des notdürftig instandgesetzten Gebäudes war nicht zu denken. Und so verschwand das "Schloss" an der Schloßäckerstraße 1953 endgültig aus dem Weichbild der Südstadt.

Bis 1968 wichen der Garten, der Werkstatthof und die Garagen des Autohauses Schritt für Schritt einem Komplex aus Hallen mit Verwaltungsgebäude. Die Entwürfe dazu fertigte Hans Anton Mayer, der Schöpfer des Universa-Hauses am Rathenauplatz.

Mit seinen Rasterfassaden und den auskragenden Dächern ist die Baugruppe an der Schloßäckerstraße ein typisches Kind seiner Zeit, die sich auch bei Zweckbauten einen gewissen gestalterischen Anspruch abringen konnte. Es waren dies die "Schlösser" einer neuen Zeit – der Wirtschaftswunderzeit –, die Fortschritt und Wohlstand für alle versprach.

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