Klassik Open Air: Tropenklima beeinflusst Klang

5.8.2013, 07:03 Uhr

Doch kaum fünf Meter entfernt laufen die Kühlaggregate der Lichttechnik, deren Surren immer wieder den warmen Klang des 150.000-Euro-Instruments überlagert.

Bei zunehmender Wärme werden die Stahlsaiten des Flügels minimal länger, die Tonhöhe sinkt ab. Mit den fallenden Temperaturen zum Abend hin steigt die Stimmung wieder.

Der 62-Jährige muss an diesem Samstag also gleich mehrfach zur Tat schreiten, damit der Arbeitsplatz von Klaviersolist Kirill Gerstein beim Klassik Open Air der Nürnberger Symphoniker frei von Misstönen bleibt.

Schon morgens um 7 Uhr war der Klavierbauer vor Ort. Denn ob des anhaltenden Tropenklimas hatte Intendant Lucius Hemmer die Generalprobe vorziehen und verkürzen lassen. In der prallen Hitze des Tages herrschen bis zu 50 Grad Celsius auf der Bühne.

Da könnten die Leimverbindungen kostspieliger Streichinstrumente aufweichen, da könnten Klarinetten reißen, deren Metallklappen sich anders ausdehnen als der Holzkorpus. Auch der berühmte Symphonikerklang leidet. Nur ein Grad Temperaturunterschied verändert die Tonhöhe von Blasinstrumenten um ein Hertz. „Das kann das menschliche Ohr schon wahrnehmen“, so Hemmer.

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Schon während der letzten Abstimmungen der Profimusiker am frühen Vormittag sind die ersten Musikliebhaber eingetroffen. In Tüten und Taschen, auf Karren und Wagen wird das herbeigeschleppt, was die hellbraune Grasfläche des Luitpoldhains bis zum Nachmittag in eine bunte Wiese aus Decken und Handtüchern, Schirmen und Sonnensegeln verwandeln wird.

Eine Drei-Klassen-Gesellschaft: die Tropenvögel, die eine gute Blickposition in Bühnennähe belohnt, die Schattensucher, deren Strom ab 18.30 Uhr zusehends anschwillt, und die Mallorca-Fraktion mit bis zu fünf mal fünf Meter großen Plastikplanen als Handtuch-Surrogat.

Schon am Donnerstag sind diesmal die ersten Quartiermeister eingetroffen, um die Claims zu Füßen der Bühne mit Campingheringen abzustecken, berichtet Andreas Radlmeier vom Kulturreferat. Die Stadt schaut (noch) zu. Vielleicht auch deshalb, weil an diesem Samstag eines der Filetstücke für Vertreter der Stadtspitze samt illustren Gästen mit mehreren Planen reserviert worden ist.



Es gibt noch eine vierte Spezies. Klassikfans wie Peter Weißhaupl, der schon morgens gegen halb vier mit Tischen und Stühlen gekommen ist, mit weißen Tischdecken und Porzellantellern, mit Gläsern, Servietten, riesigen Styroporboxen und drei Miniaturklavieren – zum Konzertmotto „Ein Klavier, ein Klavier“. Die hat der Schreiner im Ruhestand selbst gebaut. Im Bauch von zweien der Klaviere geben Spieluhren „Für Elise“ und Ravels „Bolero“ zum Besten. Das dritte Miniinstrument dient als Fuß eines Kerzenständers.

Während Klavierbauer Kretzschmar droben, hinter den schweren, schwarzen Filzbahnen der Seitenbühne die Tastatur des Konzertflügels reinigt, während Stardirigent Alexander Shelley mit Trägerhemd, Shorts und Flipflops durchs Publikum spaziert, trudeln hinter der Bühne die Musiker ein.

Eine Unwetterwarnung wird diskutiert. Gegen 21 Uhr könnte das Gewitter über die Stadt rollen. Die Berufsfeuerwehr hat das Wetterradar des Deutschen Wetterdienstes im Blick. Open Air-Leiter Thomas Wehr denkt über eine Straffung des Konzertablaufs nach.

Doch da ist wenig Raum. 54 Minuten dauert der erste Block, 71 Minuten der zweite, zuzüglich gut 20 Minuten Pause. Im Gegensatz zum ersten Klassik Open Air jedes Jahres gibt es keine Begrüßung durch den Oberbürgermeister, keine Sponsoren-Grußworte. Möglichen Zeitgewinn böten lediglich die ausführlichen Moderationen von Publikumsliebling Shelley. Ob sich ein Künstler so einfach bremsen lässt...? Lässt er nicht – und doch geht der Kelch an den geschätzten 70.000 Besuchern dieses Abends vorüber.

Während die Symphoniker einen fulminanten Klangteppich über den Luitpoldhain legen aus Johannes Brahms, Franz Liszt und George Gershwin, mit Peter Tschaikowskys Klavierkonzert in b-Moll, dem „Titanen-Prunkstück“ der Klavierliteratur, zieht die Gewitterfront nach Südwesten mit Wetterleuchten vorüber. Erst kurz vor halb elf, während die Symphoniker in einer 22-minütigen Kurzfassung der Gershwin-Oper „Porgy and Bess“ schwelgen, geht ein kräftiger Schauer über dem Gelände nieder. Glück gehabt.