Waschkörbe voll ungeöffneter Post müssen nicht sein

12.1.2017, 11:48 Uhr

Ältere Schuldner schämen sich oft furchtbar für ihre Situation. Jüngere Menschen haben meist eine etwas lockerere Haltung und nehmen den Rat von Patrick Jones und seinen Kollegen vom Zentrum Insolvenzberatung dankbar an. © Fotos: Roland Fengler (2)/privat (1)

Ihr komplettes Berufsleben lang hat Rosa K. (Name von der Redaktion geändert) im Rechnungswesen gearbeitet. Mit Zahlen konnte die 65-Jährige schon immer gut. Ihr Einkommen war sicher, die Eigentumswohnung abbezahlt. Als Rosa K. nach dem Tod ihres Mannes wieder jemanden kennenlernte, schien das Glück perfekt. Doch der Neue entpuppte sich als Betrüger. Schnell war das Vermögen der 65-Jährigen weg. Zurück blieb nur ein Berg Schulden und die Scham, dass das einer intelligenten, hart arbeitenden Frau passieren konnte.

Fälle wie dieser gehören bei Sabine Sänger und Patrick Jones zum Tagesgeschäft. Die beiden arbeiten beim Zentrum Insolvenzberatung (ZIB) in der Spitalgasse. Die Auslöser, die ihre Klienten in die finanzielle Misere treiben, sind oft Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Suchterkrankungen. Dazu kommen das gestiegene Konsumverhalten und die riesige Kreditwirtschaft.

„Früher galt meist noch das Prinzip: Man kauft nichts, wenn man’s nicht hat“, sagt Beraterin Sänger. Ein Auto oder eine Wohnung waren oft das Maximum, was die Menschen über einen Kredit finanziert haben. Heute gehe man stattdessen in ein Elektronikgeschäft und kaufe den neuen Fernseher auf Raten. Dass „auf Pump kaufen“ inzwischen salonfähig ist und der richtig Umgang mit Geld zu Hause oft nicht mehr vorgelebt wird, bilde eine ungute Gemengelage, ist die Expertin überzeugt.

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Junge und ältere Menschen suchen bei Sänger und ihren Kollegen Rat, alle Gesellschaftsschichten sind vertreten. Worin sich die Verschuldungsexperten einig sind: Es bräuchte mehr Prävention, am besten schon in Kindergärten und Schulen. „Da herrscht ein Riesenbedarf“, sagt Patrick Jones. Der Umgang mit Geld, das Verständnis von Verträgen, die Ordnung in den eigenen Unterlagen – dafür müsste schon bei jungen Menschen Sensibilität geschaffen werden. „Denn was hilft es, wenn du den Vertrag für den Fernseher nicht verstehst, den du unterschreibst, weil du den Begriff ,effektiver Jahreszins‘ noch nie gehört hast?“, fragt Sänger.

Die Prävention ist vor allem deshalb so wichtig, weil sich die Menschen heute früher verschulden. „Mit 18 Jahren geht das wirklich schon los“, sagt Jones. „Da gibt es junge Leute, die haben Schulden bei acht verschiedenen Telekommunikationsfirmen.“

Es sind übrigens die jüngeren Schuldner, die die Hilfe der Experten dankbar annehmen, während sich die älteren wegen ihrer Situation meist furchtbar schämen – wie im Falle Rosa K.s – und sagen: „Wie konnte mir das nur passieren? Ich habe doch mein Leben lang alles richtig gemacht.“

Ungeöffnete Briefe und Suiziddrohungen aufs Handy

Um die Klienten dabei zu unterstützen, genau dieses wieder in Ordnung zu bringen, hat die Beratungsstelle seit kurzem ein Projekt gestartet. Seit einem halben Jahr unterstützen Schuldnercoaches die Arbeit des Zentrums.

Die zehn Ehrenamtlichen leisten das, was die Berater in der oft knapp bemessenen Zeit nicht schaffen: Sie helfen den Schuldnern bei der Durchsicht ihrer Unterlagen, begleiten sie zur Bank oder zum Insolvenzverwalter und suchen mit ihnen eine billigere Autoversicherung oder einen günstigeren Handyvertrag. „Wir sind für die Kurzstrecke zuständig, die Schuldnercoaches für die Langstrecke“, sagt Sabine Sänger. Übernommen hat das ZIB das Projekt vom Humanistischen Verband, der es einstellen musste.

Einer der „Trainer“ ist Marcus Wegner. Der 49-Jährige aus dem Nürnberger Umland kennt sich aus mit der Materie: Zum einen ist er ein Zahlenmensch, zum anderen rutschte er vor 16 Jahren selbst in die Verschuldung – und hat es auch selber wieder heraus geschafft. „Ich bin nicht mehr in den Urlaub gefahren, habe mit dem Rauchen aufgehört, keine neuen Klamotten mehr gekauft und das Auto weg“, erzählt er.

Ältere Schuldner schämen sich oft furchtbar für ihre Situation. Jüngere Menschen haben meist eine etwas lockerere Haltung und nehmen den Rat von Patrick Jones und seinen Kollegen vom Zentrum Insolvenzberatung dankbar an.

Seit einem Jahr hilft Wegner nun Menschen, die nicht so viel Selbstdisziplin haben. Etwa 20 Stunden in der Woche ist er ehrenamtlich als Schuldnercoach tätig. „Manche Leute kommen sehr schnell alleine klar, andere sind Vollzeitjobs.“ Die müsse man an die Hand nehmen wie ein kleines Kind und richtig betreuen.

Der gelernte Informatiker hat auch schon etliche kuriose und beängstigende Situationen erlebt: Zum Beispiel brachte einmal eine Frau ganze Waschkörbe voller ungeöffneter und unsortierter Briefe und Rechnungen. „Sieben Stunden lang haben wir nur geordnet und abgeheftet“, sagt der Schuldnercoach. „Viele meiner Klienten verdrängen ihre momentane Situation und wissen gar nicht, wie viele Schulden sie genau haben.“ Aber auch Suiziddrohungen bekam Wegner schon aufs Handy.

Ein Stück weit ist sein Job auch eine Art Lebenshilfe: Der Schuldnercoach telefoniert schon mal mit der Freundin eines Klienten, der ein Alkoholproblem hat und gar nicht mehr ansprechbar ist, rät zur Sucht- oder Eheberatung und telefoniert mit manchen Schuldnern täglich, um ihre To-do-Liste zu besprechen. „Ich als Coach kann aber nur anbieten. Deshalb bekommen die Schuldner auch meine Telefonnummer vom ZIB und müssen selbst Kontakt zu mir aufnehmen.“

Warum er dieses anstrengende Ehrenamt auf sich nimmt? „Man gibt zwar viel, aber es kommt auch was zurück. Es macht mich glücklich, wenn ich das Leben von anderen verbessern kann“, sagt Marcus Wegner.

www.zib-insolvenzberatung.de; Telefon: 09 11/21 65 59 90

Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt Nürnberg:
www.iska-nuernberg.de; Telefon: 09 11/24 46 30