Lilesa holt seinen Physio ein

31.8.2016, 16:44 Uhr

Lilesas Physiotherapeut war einmal schneller als der Marathon-Star: Fraol Lencho Holjira wartet seit gut drei Jahren im Landkreis Roth auf seinen Asylbescheid und nutzt seine lokale Bekanntheit als Läufer im Team Memmert, um über Fluchtursachen zu sprechen. Auch er ist Oromo.

Zum letzten Mal haben sich der Star und sein Physio beim Berlin-Marathon 2015 getroffen. Feyisa Lilesa und Fraol Lencho Holjira teilten sich das Hotelzimmer. Lilesa wurde in 2:06:57 Stunden Dritter, Holjira kümmerte sich um dessen Muskeln und trug nach der Siegerehrung Blumen und Bronzemedaille. Sein Team-Kollege Julian Flügel lief auf Rang 19 die Olympia-Quali, Memmert-Chef Sebastian Reinwand schwört: „Der Fraol ist einer der zwei besten Physios, die ich kenne. Wir lassen uns alle von ihm behandeln.“ Es ist ein wenig wie vor sieben Jahren, als Holjira begann, die schnellsten Langstreckenbeine Äthiopiens zu kneten.

Das geschah zuletzt quasi im nicht erlaubten Nebenerwerb, denn das Leben hatte es nicht gut gemeint mit Fraol Holjira. „Ich war 16, als meine Mutter starb“, erzählt er, „das war eine sehr harte Zeit, mein Vater saß als politischer Gefangener ein.“ Weil Oromo.

Werbung
Werbung

Um sich finanziell über Wasser zu halten, bewarb sich Holjira bei der Armee. Nachdem er bei der ersten Musterung durchgefallen war, weil er nicht genug Gewicht hatte, füllte er vor dem zweiten Versuch die Hosentaschen mit Steinen und wurde tatsächlich rekrutiert. Mit der Physio war es damit eigentlich vorbei, doch die Athleten der Sportfördergruppe kamen weiter zu ihm.

Die Bewerbung beim Militär sollte sich als Lebensfalle erweisen. Die Zentralregierung setzte Soldaten in den immer blutiger werdenden Auseinandersetzungen mit Oromo und Studenten ein. Holjira sollte seine Freunde und Verwandten verfolgen und entschloss sich deshalb zu desertieren. Hier treffen sich seine Lebenslinien wieder mit denen Lilesas. Fahnenflucht wird in Äthiopien mit dem Tode bestraft, eine solches Schicksal befürchtet auch der Marathon-Held, sollte er in sein Heimatland zurückfliegen.

Wie Lilesa auf der Pressekonferenz in Rio durchblicken ließ, rechnet er mindestens mit Gefängnis oder einer Festsetzung auf dem Flughafen. Den Sirenenklängen aus der Heimat, dass er willkommen und ein freier Mann sei, traut er nicht.

Holjira hält telefonischen Kontakt zu Lilesa, der sich weiter in Rio aufhält und auf der Suche nach einem Land ist, das ihm Asyl gewährt. Als prominenter Sportler hat er Unterstützer gefunden, die ihm finanziell unter die Arme greifen. Bis zum Samstag waren 115 000 Dollar auf ein Spendenkonto eingegangen. „Eigentlich keine Summe für Feyisa“, erklärt sein Freund, „das ist wahrscheinlich allein sein Auto wert. Er ist ein reicher Mann, er hat ein Hotel.“ Und vieles mehr, aber er kommt nicht an seine Konten ran. Holjira: „Er denkt nicht an sein Vermögen, aber er hat ein Mädchen, einen Jungen, eine Frau und sehr große Angst.“

Für das Weiterkommen Holjiras in Deutschland, der bei Memmert jobbt, würden 400 Euro im Monat reichen. Das kostet die Physio-Schule in Nürnberg, die der Äthiopier besuchen will. Allerdings muss er dazu erst den Deutschtest bestehen – und da helfen keine Steine in der Hosentasche, da müssen Vokabeln und Grammatik gepaukt werden.