Kritik an Söder-Vorstoß

Lüftungsgeräte im Klassenzimmer: Schwabach fürchtet "Scheinsicherheit"

27.7.2021, 06:04 Uhr

Lüften im Winter ist kalt und unangenehm. Doch daran würden auch Luftfilteranlagen wie diese nichts ändern, so das Umweltbundesamt. Im Schwabacher Stadtrat befürchtet man deshalb sogar eine "Scheinsicherheit", die dazu führen könnte, dass weniger gelüftet wird. © Arne Dedert/dpa, NN

Alles, nur keine neuen Schulschließungen. Auch nicht angesichts der drohenden vierten Corona-Welle. Das ist das Ziel der bayerischen Staatsregierung. Ministerpräsident Markus Söder hat deshalb eine klare Ansage formuliert: "Im Herbst soll es in jedem Klassenzimmer mobile Luftfilter geben."

Doch die Reaktionen vieler Städte und Gemeinden sind ebenso deutlich, allerdings anders als von Söder gewünscht. Das gilt auch für Schwabach, wie die Diskussion in der Stadtratssitzung am vergangenen Freitag gezeigt hat.

"Von der Staatsregierung wurde hier leider eine Erwartungshaltung geweckt, die nicht zu erfüllen ist", erklärte Dr. Manuel Kronschnabel von der Stabstelle des Oberbürgermeisters. Ein großes Problem sei die Beschaffung. Denn möglicherweise sei eine europaweite Ausschreibung erforderlich, die bis zum Schulbeginn im September kaum abgeschlossen werden könne. Zudem würde die Nachfrage weit größer als das Angebot sein. Die Folge wären lange Lieferzeiten.

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Kein Ersatz fürs Lüften

Doch noch viel gewichtiger als solche praktische Umsetzungsfragen sind grundsätzliche Bedenken. Es gibt große Zweifel, ob Söders Vorschlag überhaupt ein sinnvoller Beitrag zur Pandemiebekämpfung ist. Manuel Kronschnabel zitierte die Einschätzung des Bundesumweltamts. Das sieht in Lüftungsfiltern bestenfalls eine Ergänzung, keinesfalls aber einen Ersatz fürs Lüften. Konsequentes Lüften und die Einhaltung der AHA-Regeln seien deshalb ein unverzichtbarer und auch ausreichender Schutz. Lüftungsfilter könnten sogar zu einer "Scheinsicherheit" führen. Möglicherweise würde mit solchen Geräten im Raum weniger konsequent gelüftet.

Zudem seien wichtige Rechtsfragen noch ungeklärt, so Kronschnabel. Eine zentrale dabei lautet: Darf Präsenzunterricht in voller Klassenstärke auch bei hohen Inzidenzzahlen durchgeführt werden? "Diese Frage wurde bislang von Seiten des Kultusministeriums nach wie vor nicht beantwortert", erklärte Kronschnabel.

Was dagegen vorliegt ist ein Förderprogramm des Freistaats. Übernommen werden sollen bis zu 50 Prozent der Investitionskosten, maximal 1750 Euro pro Raum. Folgekosten für Wartung und Betrieb müssen die Städte und Gemeinden alleine tragen.

Kosten in Millionenhöhe

Manuel Kronschabel rechnete vor, was das für Schwabach bedeuten würde. Rund 350 Klassenzimmer in allen Schwabacher Schulen mal 3500 Euro ergibt 1,225 Millionen. Minus 50 Prozent Staatszuschuss blieben 612.500. Hinzu kämen Betriebskosten von jährlich 175.000 bis 350.000 Euro. Für den Förderzeitraum von drei Jahren käme man auf 1,4 Millionen Euro.

Viel Geld für eine Maßnahme, deren Sinn umstritten ist, findet man bei der Stadt. Für eine solche Vollausstattung sprach sich am Freitag im Stadtrat deshalb niemand aus. Völlig ablehnen will man Söders Forderung aber auch nicht. Die Verwaltung hat deshalb einen Mittelweg gesucht. Und der sieht so aus:

Stufenplan statt Hauruck-Aktion

Manuel Kronschnabel wies zunächst darauf hin, dass die Stadt keineswegs untätig gewesen sei. 24 nicht oder nur schwer zu lüftende Klassenzimmer sind bereits mit Luftfiltern ausgestattet worden. Das weitere Vorgehen soll nach einem Stufenplan erfolgen. Der erste Schritt ist bereits eingeleitet: eine Bedarfsabfrage in allen Schwabacher Schulen. Die zentrale Frage: In welchen Klassenzimmern sind Luftfilter sinnvoll? "Der Fokus liegt dabei auf jüngeren Jahrgangsstufen, da Kindern bis einschließlich elf Jahren wohl auch mittelfristig kein Impfangebot gemacht werden kann", erklärte Kronschnabel.

Die Ergebnisse dieser Abfrage sollen in dieser Woche vorliegen - und müssen es auch, da am Donnerstag letzter Schultag ist. An diesem Donnerstagnachmittag wird es am Adam-Kraft.-Gymnasium zudem einen Ortstermin in einem Klassenzimmer mit Luftfilter geben. Im Anschluss soll der Ferienausschuss des Stadtrats im August die Anschaffung weiterer Luftfilter beraten und entscheiden.

Dieses Vorgehen decke sich auch mit den Vorgaben eines neuen Förderprogramms der Bundesregierung. "Es gilt nur für Räume mit eingeschränkter Belüftungsmöglichkeit in Einrichtungen für Kinder unter zwölf Jahren", erläuterte Manuel Kronschnabel.

Gegenwind aus der eigenen Partei

Um dem Ferienausschuss nicht vorzugreifen hat der Stadtrat auf einen Abstimmung am vergangenen Freitag bewusst verzichtet. Die Diskussion, die auf einen Antrag der Freien Wähler geführt wurde, zeigte aber ein eindeutiges Stimmungsbild und breite Unterstützung für den Stufenplan. Deutliche Kritik an Söders Vorschlag kam selbst aus den Reihen seiner eigenen Partei.

CSU-Fraktionschef Oliver Memmler wählte Klartext statt Diplomatie: "Ein Wahnsinn, was uns hier als Knochen aus München hingeworfen wird. Das ist nicht erfüllbar und wahrscheinlich auch nicht sinnvoll. Wir unterstützen das behutsame Vorgehen der Verwaltung."

Sein SPD-Kollege Werner Sittauer nannte die möglichen finanziellen Folgen "erschreckend". Da weiterhin alle 20 Minuten gelüftet werden müsse, brächten die Luftfilter "keinen erhöhten Komfort". Sie sollten deshalb nur eingebaut werden, wo sie wirklich nötig seien.

Eine "Populismusfalle"?

"In der Schlagzeile klingt Söder richtig gut: Der Staat tut alles für die Schüler", sagte Grünen-Fraktionschef Klaus Neunhoeffer. "Aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man, wie kompliziert die Sache ist." Söder habe den Städten eine "Populismusfalle" gestellt: "Denn wir müssen es den Eltern erklären, wenn wir keine Luftfilter kaufen."

Dr. Markus Hoffmann (Freie Wähler) stellte klar: "Wir müssen verhindern, dass wieder Schulschließungen folgen. Koste es, was es wolle." Ein Satz, der Werner Sittauer zu einem süffisanten Bemerkung provozierte: "Daran werden wir Sie bei den Haushaltsberatungen erinnern."

Axel Rötschke (FDP) hält eine kurzfristige Anschaffung für unrealistisch, zudem sei der Nutzen nicht belegt: "Das ganz große Engagement sollten wir uns deshalb sparen."

Das sieht auch der parteilose Eckhard Göll so: Der Bedarf sei eher minimal, der Schaden vielleicht sogar höher als der Nutzen und die Ausgaben enorm. "Meine erste Analyse: Nein, das trage ich nicht mit."