Thomas Hettche und Denis Scheck plaudern bei LesArt

11.11.2015, 08:18 Uhr

Thomas Hettche hat es gut und sagt das auch: „Ich bin komplett lustgetrieben. Drei Viertel meiner Zeit kann ich mich mit Dingen beschäftigen, die mir Spaß machen.“ Ein Privileg, das er sich über Jahre erschrieben hat.

Seit seinem Romandebüt „Ludwig muss sterben“ 1989 singt das deutschsprachige Feuilleton geradezu Hymnen über seine Werke. Auch der vor allem durch seine Literatursendung „Druckfrisch“ bekannte Kritiker Denis Scheck reihte sich am Montagabend bei „LesArt“ in Schwabach in diesen Chor wie selbstverständlich ein: „Ich kann Thomas Hettche gar nicht genug loben.“

Hochachtung ist der Sound des Interviews im Plauderton, das Scheck mit dem Autoren an diesem 9. November in der Alten Synagoge führt. Eingangs erinnert LesArt-Organisatorin Hanne Hofherr an das historische Datum. Dass Schwabachs Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 nicht brannte, habe daran gelegen, dass sich die jüdische Gemeinde schon zuvor bereits aufgelöst und die Synagoge an eine Brauerei verkauft hatte.

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„Es ist schon etwas Besonderes, an einem 9. November in einer Synagoge aufzutreten“, findet auch Denis Scheck. Damit hat sein Gespräch mit dem renommierten Autoren auch sein erstes Thema. Der 1964 geborene Thomas Hettche blickt zurück auf seine Kindheit am Vogelsberg im oberhessischen Bergland. Die Vernichtung der dortigen jüdischen Gemeinde sei durch Erzählungen in seiner Familie sehr präsent gewesen. Geradezu angezogen habe ihn der verwilderte jüdische Friedhof mit der ungewöhnlichen Schrift auf den verwitterten Grabsteinen. „Das war unheimlich und deshalb interessant“, erinnert sich Thomas Hettche.

Die Faszination für reizvolle Orte hat er bis heute nicht verloren. In seinem jüngsten Roman macht er sie sogar zum Thema: „Pfaueninsel“. Dieses kleine Paradies der preußischen Könige liegt in der Havel zwischen Potsdam und Berlin.

Hauptfigur aber ist kein Monarch, sondern eine kleinwüchsige Schlossjungfer: Marie Dorothea Strakon hat ihr Leben auf der Pfaueninsel verbracht. „Was hat Sie an einer Hofzwergin interessiert?“, fragt Denis Scheck. „Welches Leben sie im 19. Jahrhundert als Zwergin gehabt hat, das war der Reiz“, antwortet Hettche und benutzt ganz bewusst das Wort „Zwergin“, um im Duktus der Zeit zu bleiben — aller heutigen „politischen Korrektheit“ zum Trotz.

Die historische Person ist belegt, doch über ihr Leben ist nichts bekannt. Hettche beschreibt Maries Tragik: Sie ist skurriles Inventar einer exotischen Insel. Nur einmal bricht sie aus. Ein Ausflug nach Berlin ist wie „eine Fahrt in ein anderes Leben, das sie hätte haben können“.

Mit Marie zeichnet Thomas Hettche ein Bild der Zeitenwende im 19. Jahrhundert, als die rasante Industrialisierung dem Leben der Menschen einen neuen Takt gibt. Zumindest jenseits der „Pfaueninsel“. Thomas Hettche liebt präzise Beobachtung. Egal, ob es sich dabei um botanische Raffinessen der Gartenanlage, sexuelle Ausschweifungen im königlichen Gemach, die Armut im Scheunenviertel, die Kochkünste eines Verehrers oder Maries Tod im brennenden Palmenhaus handelt. Und Denis Scheck liebt diesen Stil: „Ein wunderschönes Buch.“