Der Querulant als Genie

30.7.2017, 16:10 Uhr

Auf dem Schrecker? Als ich diese Adresse gelesen habe, dachte ich sofort an Thomas Bernhards „Holzfällen“, worin der hypertrophe Dauerraunzer die Dichterin Friederike Mayröcker zu Anna Schreker entstellte. Auf dem Schrecker hat aber nichts mit der ätherisch-megärischen Lyrikerin zu tun, sondern leitet sich vom Schreckturm ab, dem Gefängnis. Nun gibt es dort etwas Neues, von dem man sich auch gefangen nehmen lassen kann: die Weinbar FrauLentz. Ob es da Spontanvergärer aus der Südsteiermark, Cuvées aus Westfrankreich oder andere Edeltropfen gibt, deren Beschreibung oft mehr nach Obstsalat denn nach Wein klingt, habe ich noch nicht herausgefunden, aber es ist ein netter Ort, der einen Hauch südländisches Flair nach Mittelfranken bringt. Man kann draußen an Stehtischen, auf der dafür umgebauten Fensterbank oder einem umgewidmeten Parkplatz sitzen, trinken und einen Sommertag, so er denn ein solcher war, ausdampfen lassen.

Das Lokal selbst ist eine kuriose Mischung aus bretonischem Fischlokal und bayerischer Metzgerei. Da gibt es noch die Fleischerhaken an der Wand, eingekerbte Holzbalken aus den 80ern – wuchtig wie Arnold Schwarzenegger, einen zum Tresen umfunktionierten Thekenwulst und einen Gastro-Kühlschrank, in dem nun der Wein seiner Wahrheit harrt, aber auch bunte Sodaflaschen und eine an maurische Kacheln gemahnende Tapete.

Doris, die Wirtin, sie könnte Kindergartenpädagogin in einer Waldorfkrippe oder die als Harry Potter verkleidete Schwester von Kimi Räikkönen sein, ein herzlicher Mensch, hat natürlich versucht, alle Nachbarn zu befrieden, was gut funktioniert hat. Wobei das Haus gegenüber einer Liga zur Bekämpfung des Rheumatismus als Vereinslokal dient, und diese Herrschaften müssen mit ihren Versammlungen ohnehin nach Kräften haushalten.

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Es stößt sich also niemand an der neuen Weinbar. Niemand? Wie so oft, gibt es auch hier einen Anrainer, dem das alles schwer missfällt. Will man vorbeigehen, muss man den Bürgersteig verlassen, dazu die Lärmbelästigung . . ., also wird allabendlich, an den drei Tagen, an denen FrauLentz offen hat, die Polizei gerufen. Misanthropischer Querulant, mag man als Lokalbesucher denken, unlukullische, Freuden verscheuchende Lustseuche. Aber was, wenn es sich bei diesem Anrainer um einen zweiten Immanuel Kant handelt, der gerade an einem neuen kategorischen Imperativ schreibt? Oder ein nächster Thomas Bernhard, der an einer genialen Raunz-Suada arbeitet?

Auch Peter Handke soll sich kürzlich die Hand gebrochen haben, weil er im Zorn über einen lär­menden Nachbarn eine Goethe-Gesamtausgabe gegen die Wand gepfeffert hat. Unterschätzen wir also die Anrainer nicht – so sie uns das Leben nicht vermiesen. Und wie weiter? Ich würde das Wetter entscheiden lassen, weil irgendwann kommt sowieso der Herbst, dann erledigt sich das Straßenzechen fast von selbst.