Aufbruch in die Zukunft

20.10.2020, 12:52 Uhr

Was bedeutet Digitalisierung an einem Museum eigentlich?

Die Digitalisierung umfasst ganz unterschiedliche Bereiche: Zum einen geht es darum, unsere Bestände digital zu erfassen. Sie werden fotografiert, in eine online- Datenbank eingestellt und mit aktuellen Forschungsergebnissen und Literaturlisten versehen, um sie weltweit zugänglich zu machen. Digitalisierung bedeutet aber auch, Arbeitsabläufe zu optimieren, und verantwortungsbewusst mit Ressourcen wie Zeit und unserer Umwelt umzugehen: Videokonferenzen statt analoger Treffen, Datenbanken statt gedruckter Inventare. Der dritte Aspekt betrifft die Vermittlung. Museen haben derzeit noch mit vielen Einschränkungen zu kämpfen und weniger Besucher als vor Corona. Daher setzen sie auf eine stärkere online-Präsenz.

Wie kann das erreicht werden? Museen wie unseres benötigen die technische Ausstattung, Fachwissen und engagierte Kolleginnen und Kollegen. Viele Abteilungen des GNM waren und sind an der Digitalisierung beteiligt, von Aufsichten über Sammlungsleiter, die IT-Abteilung und Mitarbeiter der Vermittlung. Ich bin froh und unendlich dankbar, dass bei uns so viele Kollegen arbeiten, die das nötige Know-How mitbringen und das Thema „Digitalisierung“ außerdem mit Spaß und Leidenschaft voranbringen. Unser neu aufgelegtes Blog spiegelt diese große Bandbreite wieder. Alle Mitarbeiter können Beiträge schreiben und ihre Sicht einbringen.

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Was sind aktuelle Projekte?

Jüngst haben wir mit der Veröffentlichung unserer ersten Digital Story zum Alltag im Mittelalter viel Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren. Eine zweite Digital Story zum Behaim-Globus ist in Arbeit. Auch alle Sonderausstellungen werden jetzt digital begleitet, mit Bilderstrecken und Texten, die wir online stellen. Damit bieten wir die Möglichkeit, sich unsere Präsentationen auch zu Hause anzusehen – für alle, die nicht nach Nürnberg kommen können oder derzeit nicht reisen möchten. Das eröffnet außerdem neue Perspektiven der Archivierung, denn digital wird eine Ausstellung noch weit über ihre analoge Laufzeit hinaus besucht werden können.

Fotos von Ausstellungen sind hübsch anzusehen, aber Details erkennt man häufig nicht.

Im Frühjahr haben wir begonnen, einige unserer Objekte als 3D-Scan aufzunehmen. Jeder kann dadurch ein Exponat quasi aus der Vitrine nehmen. Sie können es digital drehen, Rückseiten und Unterseiten betrachten, Details heranzoomen und – bei Gefäßen – einen Blick ins Innere werfen. Die unterschiedlichen Perspektiven sind mit kurzen Hinweisen versehen, was viel zum Verständnis von Funktion und Herstellung dieser Objekte beiträgt. Die 3D-Digitalisierung können Besucher in unserer Ausstellungshalle 1 derzeit live mitverfolgen. Dort haben wir eine mobile Scan- Station aufgebaut.

Wird es künftig neue Stellen und mehr Geld für die Digitalisierung geben?

Kaum ein Museum ist momentan auf den neuen Stellenbedarf vorbereitet. Museen sind traditionell für analoge Abläufe angelegt: Ein Besucher geht in eine Ausstellung, schaut sich die Exponate an und nimmt vielleicht vor Ort an einer Führung teil. Oder ein Forscher reist an, lässt sich bestimmte Objekte vorlegen und sucht anschließend das Gespräch mit dem Sammlungsleiter. Das soll auch weiterhin so bleiben, doch das Digitale kommt on-top dazu. Das führt mitunter zu Interessenskonflikten, welche Arbeit Vorrang hat, denn Digitalisierung kann und darf nicht zu Lasten der Wissenschaft gehen. Wir sind aktuell in der glücklichen Lage, mit Mitteln des Bundes und des Freistaats Bayern im Rahmen des Aktionsplans der Leibniz-Forschungsmuseen zumindest im Bereich der Vermittlung befristet Stellen einrichten zu können. Dauerhaft wird es aber ohne zusätzliches Personal nicht gehen.

Was sind die Nachteile der Digitalisierung?

Es besteht mitunter die Sorge, Digitalisate könnten ein Original ersetzen und damit Museen langfristig überflüssig machen. Diese Befürchtung teile ich nicht. Die Digitalisierung ist vielmehr eine gewinnbringende Ergänzung, die uns helfen kann, Aufmerksamkeit auf historische Artefakte zu lenken. Museen muss es gelingen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, warum historische Zeugnisse wichtig sind und wir sie bewahren müssen – und das auf eine ansprechende und qualitätvolle Weise.

Die Digitalisierung führt dadurch auch zu einer rasant anwachsenden Menge an Material. Was ist wichtig, was nicht? Hier sehe ich unsere Verantwortung, nachfolgende Generationen im Umgang mit dieser neuen Informationsflut zu schulen. Als Forschungsmuseum genießen wir hohes Ansehen. Wir liefern Daten, benennen aber auch offen Zweifel und Erkenntnisgrenzen, belegen unsere Aussagen und verlinken zu Datenbanken. Das erfordert Zeit, aber darauf basiert die Qualität.

Wie sieht die digitale Zukunft der Museen aus?

Museen sind Schnittstellen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft und erfüllen einen wichtigen kulturpolitischen Auftrag. Um das zu gewährleisten, benötigen sie sichere Rahmenbedingungen. Die Coronakrise hat deutlich gemacht, wie wichtig eine Finanzierung durch die öffentliche Hand ist. Der Blick in die USA zeigt, in welch prekäre Situation Museen dort durch das Wegbrechen von privaten Förderern und Sponsoren aus der Wirtschaft geraten. Bei uns im GNM haben in den vergangenen Monaten viele Kollegen Aufgaben übernommen, die nicht zu ihrer eigentlichen Tätigkeit gehören, und sich weit über das normale Maß engagiert. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Aufgabe von uns Museumsleitern ist nun, diesen neuen Arbeitsaufwand einzuplanen und Wege zu schaffen, ihn zu verstetigen.