Protest von Umweltschützern
 

Automesse IAA Mobility: Das sind die Trends und Neuheiten

7.9.2021, 19:48 Uhr

Mit umwölkter Miene verfolgen Herbert (58) und seine zwei Jahre jüngere Ehefrau Anita das, was sich unter der Septembersonne am Münchner Odeonsplatz tut. Bagger sind am Werk, Kräne, und eine Armada emsiger Arbeiter: Die IAA kommt. „Hamma scho g’hört“, sagt Herbert, während er beobachtet, wie die steile Rampe vor der Feldherrenhalle mit Rollrasen ausgekleidet wird. „So a Theater“, kopfschüttelt die Gattin, „komm, gemma weiter“.

Blickwinkel erweitert

Werbung
Werbung

Das Theater hat sich seit 1951 im zweijährigen Turnus knapp 400 Kilometer weiter nördlich abgespielt, in Frankfurt nämlich. 2021 findet die Messe erstmals in der bayerischen Metropole statt, bis zum 12. September läuft sie. Und weil sich der Blickwinkel vom zunehmend geschmähten Auto auf Mobilität im Allgemeinen erweitern soll, hat der veranstaltende Verband der Automobilindustrie (VDA) ein neues Konzept erdacht und nennt die Ausstellung jetzt „IAA Mobility“.

Unter freiem Himmel

Neben dem Messegelände in Riem wird die Münchner Innenstadt umfassend eingebunden ins Geschehen. „Open Spaces“ heißen die Areale an und um Odeons-, Königs-, Marstall-, Wittelsbacher- oder Max-Joseph-Platz, Stachus und Hofgarten; Automobilhersteller von Mercedes über Cupra bis hin zu Audi zeigen hier Präsenz, aber auch Zulieferer wie Webasto, Mahle und Bosch sowie der Sharing-Anbieter ShareNow und die Fahrradbranche, die sich auf einem groß angelegten Bike-Areal präsentiert. „Open“ bedeutet nicht nur, dass die Flächen unter freiem Himmel liegen, sondern auch, dass das Publikum hier freien Zutritt hat.

Rege mitmachen sollen die Besucher auf der IAA Mobility, was sich unter anderem darin manifestiert, dass sie am Messegelände automatisiertes Einparken erproben oder mit allerlei Elektroautos über die sogenannte „Blue Lane“ stromern können - die zwölf Kilometer lange Transferstrecke verbindet die Messestadt mit dem Open Space in der Innenstadt.

Viele bleiben fern

Zwei Hallen in Riem sind für Fahrräder, Pedelecs und E-Scooter reserviert. „Es ist wichtig, dass wir Automobilhersteller da keine Berührungsängste haben“, sagt Gunnar Herrmann, Deutschland-Chef von Ford. Platz ist genug da für die Zweiräder, denn eine Reihe von Auto-Anbietern bleibt der IAA-Mobility fern – der gesamte Stellantis-Konzern etwa, zu dem illustre Marken wie Opel, Peugeot oder Fiat gehören, auch Volvo, Land Rover, Tesla und die japanische Riege von Toyota bis Mazda übt sich in Abstinenz. Das von Auto-Fans erstrebte Selfie vor Ferrari oder Rolls Royce fällt aus, wer vor sündhaft Teurem posieren will, muss auf die Oldtimer-Halle ausweichen, wo beispielsweise ein 169.000 Euro teurer Lamborghini Espada 400 GT aus dem Jahr 1975 zur Schau steht.

In Treue zur IAA verharren vor allem jene Autohersteller, die schon aufgrund ihrer Mitgliedschaft im VDA mehr oder weniger dazu verpflichtet sind – Mercedes etwa, BMW, die Volkswagen-Marken Audi, VW, Skoda und Cupra (nicht aber Seat), aber auch Ford. Hyundai, Genesis und Kia zeigen ebenfalls Flagge. Und Renault: „Wir müssen da sein“, sagt CEO Luca de Meo, „dies ist schließlich Deutschland“, ein wichtiger Markt mithin.

Die Messestände der Autobauer sind schlichter geworden, Bescheidenheit hat den IAA-Glamour und die „Kathedralen“ (de Meo) der früheren Jahre abgelöst, für das Publikum bedeutet das weniger Show und weniger Futter fürs Auge. Pro Halle finden sich zumeist nur zwei Marken, ihr jeweiliges Umfeld teilen sie sich mit Zulieferern oder Start-ups, die auf diese Weise mehr Aufmerksamkeit abbekommen als ehedem - so wie Obrist aus dem österreichischen Lustenau, das einen Antrieb vorstellt, bei dem ein methanolbetriebener Benzinmotor Strom für eine Elektromaschine produziert. Oder Atlas Aero aus dem fränkischen Spalt, dessen Hybridflugzeug batterieelektrisch senkrecht startet und auf Reiseflughöhe mit e-Fuels den Himmel durchmisst.

Elektrische Dominanz

Brav zeigen die Automobilhersteller vorzugsweise Elektrisches, so wie VW den stromernden Kleinwagen ID.Life, Cupra den Stadtflitzer Urban Rebel, Mercedes den EQE und die elektrische G-Klasse, Renault den Mégane E-Tech Electric und den R5 Prototype, Audi das spektakuläre Grandsphere Concept, BMW den i4 und den iX5 Hydrogen. Brot-und-Butter-Autos wie der bis zu siebensitzige Dacia Jogger führen da eher eine Randexistenz. Auch Ora aus China rückt einen elektrischen Kleinwagen ins Scheinwerferlicht, „Cat“ heißt er. Ora gehört zum Automobilkonzern Great Wall Motors, ebenso wie Wey, eine Marke, die ein Plug-in-SUV namens Coffee 01 als Deutschland-Einsteiger mit nach München gebracht hat.

Pedelec als Kleinwagen: Mit diesen Modellen will Akkurad auf den Markt kommen. © ule

Dass sich der Blick der Automanager sorgenvoll in Richtung Fernost wendet, hat freilich weniger mit der neuen Konkurrenz als vielmehr dem akuten Halbleiter-Engpass zu tun, hervorgerufen unter anderem durch eine abgebrannte japanische Chipfabrik oder den Corona-Lockdown in Malaysia. Er sei mitunter richtiggehend überrascht, „dass wir noch Autos produzieren können“, sagt Renault-Chef Luca de Meo, und auch Hans-Jörg Klein, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung bei Ford Deutschland, sorgt sich um seine Händler, die bestellte Autos vielfach nicht zeitnah an den Kunden bringen können.

Pedelec als Kleinwagen: Mit diesen Modellen will Akkurad auf den Markt kommen. © VW

Für Unruhe sorgen auch die Proteste von Umweltaktivisten, die vom neuen grünen Konzept der Messe und den zahlreichen Elektroautos unbeeindruckt bleiben. Bereits am ersten Messetag meldete der Verkehrsfunk etliche Autobahn-Sperrungen, einige der besagten Aktivisten hatten sich von Brücken abgeseilt, und die größte Unternehmung steht erst noch aus, sie ist in Form einer Sternfahrt von geschätzt 30.000 teilnehmenden Radfahrern für den kommenden Samstag angekündigt. Vorsorglich hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann bis zu 4500 Polizistinnen und Polizisten zur IAA Mobility beordert.

Kommt das Konzept an?

Abzuwarten bleibt nun, wie die neu gestaltete Ausstellung beim Publikum ankommt. Wer alles mitnehmen möchte, muss lange Wege von Riem in die Innenstadt in Kauf nehmen; das, was den eigentlichen Charme einer solchen Messe ausmacht – sich auf kompaktem Raum einen umfassenden Überblick verschaffen zu können – ist in München nicht gegeben. Und ob der bekennende Auto-Fan, den es schließlich nach wie vor gibt, Fahrräder als Ersatz für die ferngebliebenen Marken akzeptiert, muss sich ebenfalls erst weisen. „Ich denke, es ist ein gutes Format“, meint Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann dennoch. Zumindest für eine weitere Münchner IAA hat sich der Verband der Automobilindustrie bereits verpflichtet. Zaungast Herbert indes würde eine andere Veranstaltung präferieren. „Endlich wieder Oktoberfest“, wünscht er sich, bevor er im Getümmel des Odeonsplatzes verschwindet.

Pedelec als Kleinwagen: Mit diesen Modellen will Akkurad auf den Markt kommen. © ule