"Ortung" in Schwabach

Diese Kunst ist Gold wert

6.8.2021, 15:23 Uhr

Wir sehen was, was sie nicht sieht: Arbeit von David Uessem. © Stefan Hippel

Nicht abgelauscht, aber abgepaust als Frottage auf großem güldenen Papier hat das Künstlerduo Boris Eldagsen und Natascha Stellmach das aus fünf Buchstaben von Dürers Namen bestehende "Orakel" von seinem Grabstein auf dem Nürnberger Johannisfriedhof.

Gemeinsam mit neun weiteren Frottagen von den Inschriften der Gräber prominenter Toter – darunter Egon Schiele ("Silence") und Oscar Wilde ("Words Lie") – ist das goldene Dürer-Blatt Teil einer hocheleganten und leicht schwarzhumorigen Boden-Installation im Goldenen Saal des Schwabacher Rathauses. Ein großer Strauß weißer Callas-Blumen weist davor auf die Vergänglichkeit allen Lebens hin.

Die Arbeit, für deren Aufbau die Australierin Stellmach eigens aus ihrer Heimat anreiste (Indiz für das internationale Renommee der 1999 gegründeten Biennale "im Zeichen des Goldes"), bildet den Auftakt zu einem Kunstparcours, der sich entlang von 32 Stationen durch die Goldschlägerstadt zieht. Auf dem Rathausplatz kündet ein mit goldener Folie verhüllter Info-Kubus von dem Ereignis. Ein Notbehelf, so Projektleiterin Ulrike Kummer, weil der bestellte, goldfarbene Container nicht fertig wurde – und doch ein weithin sichtbares glänzendes Signal.

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Kellergewölbe und ehemalige Waschküchen, in den Vorjahren oft spannende Kunstentdeckungsorte, bleiben diesmal verschlossen – wegen des geringen Luftaustausches, auf den wegen Corona größter Wert gelegt wird. Geheimnisvolle Räume tun sich trotzdem auf. Etwa in der Alten Mälzerei, wo Stefan Reiss’ vielfarbige Videoinstallation, die über ein Geflecht aus aufgehängten Holzstäben flackert, wie der Blick in eine ferne Galaxie anmutet. Der Berliner Künstler nimmt damit Bezug auf eine Sternenkollision, die sich 130 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ereignete und Goldbrocken ins All und bis auf die Erde schleuderte.

Raum für die Sinne

Als "Ort des sinnlichen Genusses" nach all den Entbehrungen der Pandemie hat Inge Gutbrod den Raum daneben eingerichtet. Aus großen Wachszylindern leuchtet warmes Licht, der Boden ist mit Malzgerste bedeckt, deren Duft an die einstige Nutzung der Mälzerei erinnert, und auf einer Säule aus Wachsscheiben werden Honigbonbons für den Geschmackssinn offeriert.

Der Aufruhr, für den wenige Meter weiter die Münchner Künstler Johannes Brunner und Raimund Ritz sorgten, als sie die Fensterscheiben des ehemaligen Prell-Ladens in der Zöllnertorstraße mit Steinen einwarfen, hallt zwar noch heftig nach. Doch selbst die Kritiker dürften beim Anhören der Klangkomposition, die daraus entstanden ist, still werden.

Darin vermischt sich das Scheppern und Knallen der zerberstenden Scheiben mit Glockenklängen und ganz zarten Tönen, die an leise klirrende Windspiele erinnern, zu einer ebenso spannenden wie verzaubernden Collage. Man lauscht gebannt mit Blick auf die Scherben-Installation vor den Fensterbänken. Und die Glasfassade, deren Lücken mit goldfarbenen Schlagmetallplatten geschlossen wurden, sieht jetzt viel besser aus.

Das Alte Deutsche Gymnasium lockt mit zwei künstlerischen Positionen, die konträrer kaum sein könnten, und – wie viele Arbeiten – den Goldbezug auf einer Metaebene herstellen. Draußen im Seminargarten hat Nándor Angstenberger farbige Acrylfäden wie Sonnenstrahlen zwischen Baumkronen und Boden gespannt. Je nach Lichteinfall glitzern und funkeln sie. Mit seiner Installation, die sich wunderbar harmonisch in die Umgebung einfügt, gemahnt der Ungar, der in Berlin lebt, an den Wert der gefährdeten Natur.

In die Welt des glänzenden Scheins führt dagegen David Uessem. Für seine "Stadt aus Gold" hat er die Turnhalle der alten Schule in einen Black Cube verwandelt. Auf Podesten stehen schwere Messingkronen, die wie aus Papier gefaltet aussehen. Doch den nachhaltig irritierenden Blickfang bilden drei riesige Frauenporträts – maskierte Hochglanz-Schönheiten, deren glamouröse Inszenierung sich als Illusion erweist. Die über die Augen gezogenen Masken nehmen ihnen die Identität und konterkarieren mit ihren Mickey-Maus-Ohren die ausgestellte Extravaganz. Eins der extrem fotorealistischen Gemälde entstand übrigens eigens für Schwabach – Ortskundige werden es sofort identifizieren.

"Family" als größter Wert

Wer auf dem Weg zurück den Durchgang zur Stadtbibliothek passiert, trifft auf ein Werk, das der Nürnberger Street-Art-Künstler Carlos Lorente mit den Jugendlichen schuf, die sich dort abends gerne treffen. Er befragte sie nach ihren Werten, die als Handstyles die Wand zieren. Prominent in goldener Farbe prangt in der Mitte das Wort "Family". Was manche überraschen und zugleich freuen dürfte.

Keinesfalls versäumen sollte man den Besuch der Stadtkirche. Dort schwebt im Mittelschiff über drei aufgespannten Saiten eine dem buddhistischen Sakralbau Stupa nachempfundene goldene Kuppel. Wer das Instrument mit dem auf einer Kirchenbank montierten schwarzen Smarthphone ansteuert, erfüllt den Kirchenraum mit magischen Klängen. Doch das Werk des Nürnbergers Florian Tuercke ist ambivalent. Gilt der goldene Stupa als heilbringend, so steht der schwarze Stupa, repräsentiert durch das Handy, für Unheil. Stärker als Tuerckes kritischer Verweis auf unser aller Preisgabe an den allwissenden, digitalen Begleiter wirkt allerdings der Zauber des Klangerlebnisses.

Im Galeriebereich der Kirche hat der in Roth lebende Künstler Hans Karl Kandel auf dem Boden ein großes ovales Feld aus übereinander liegenden weißen Gipsringen ausgebreitet. An den Polen markieren zwei goldene Ringe Alpha und Omega, Anfang und Ende. Der dicke Ring weist dabei in gerader Linie zur Strahlenmadonna im rechten Seitenschiff, der schmale zum Kruzifix. Ein schlicht anmutendes Werk mit starkem, durchaus religiösem Symbolgehalt, das sich großartig in den spätgotischen Kirchenraum fügt.

Mehr als 400 Bewerbungen wurden zur 12. "ortung" eingereicht – ein Rekord, wie Oberbürgermeister Peter Reiß stolz vermerkt. Nach vielen Monaten des Lockdowns sei die Kunstbiennale genau das richtige Format für den Neustart. Zum umfangreichen Begleitprogramm gehören neben Führungen zahlreiche Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien. Der mit 5000 Euro dotierte Schwabacher Kunstpreis wird bei der Vernissage am heutigen Samstag verliehen, der Publikumspreis (2500 Euro) zur Finissage am 22. August.