Hercule Poirot

Im Orient-Express wird wieder gemordet

7.11.2017, 17:34 Uhr

Von Lauren Bacall, Albert Finney, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset bis zu Sean Connery, Anthony Perkins und Vanessa Redgrave reichte der Aufmarsch der Filmlegenden, die sich auf engstem Raum versammelten, um Agatha Christies populären Kriminalroman aus dem Jahre 1934 auf die Leinwand zu bringen. Die Messlatte hängt also ungewöhnlich hoch, wenn die Fox-Studios nun ein Remake des Fernverkehr-Kammerspiels in Angriff nehmen.

Aber mit Kenneth Branagh wurde ein bekennender Enthusiast als Regisseur unter Vertrag genommen, der in seine Shakespeare-Adaptionen genauso viel Herzblut steckte wie in die Comic-Verfilmung "Thor" oder zuletzt in die Wiederbelebung des Disney-Klassikers "Cinderella". Branagh spielt selbst den legendären belgischen Kommissar Hercule Poirot. Dessen pittoresker Schnurrbart ist das weithin sichtbare Zeichen für die Exzentrik der Figur, deren genaue Beobachtungsgabe und perfektionistische Ordnungsliebe die Schlüssel zum detektivischen Erfolg bilden.

Starbesetzung ersetzt Starbesetzung

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Auf dem Weg zurück nach London besteigt er in Istanbul den Orient-Express und mit ihm dreizehn weitere Fahrgäste. In einer langen Plansequenz fährt die Kamera durch den Bahnhof und langsam am Zug entlang, um durch die Fenster hindurch das prominent besetzte Figurenarsenal vorzustellen. Johnny Depp spielt den kriminellen US-Geschäftsmann Ratchett, der mit Assistent (Josh Gad) und Butler (Derek Jacobi) reist und die erste Nacht im Schlafwagen nicht überleben wird. Michelle Pfeiffer gibt die Witwe (und tritt damit in die Fußstapfen von Lauren Becall) und Judi Dench die hochherrschaftliche Prinzessin. Penelope Cruz übernimmt von Ingrid Bergman die Rolle der verhuschten Missionarin. Willem Dafoe, Daisy Ridley, Tom Bateman u.a. ergänzen die Erstliga-Besetzung. In cineastischer Eleganz erstrahlt diese Aufbruchsequenz und hier zeigt sich schon, dass sich das verwendete 65 mm Breitwandformat auszahlt.

Am Anfang scheint es, als wollte sich Branagh ganz eng an das Original aus dem Jahre 1974 halten. Erst langsam beginnt er den Stoff vorsichtig zu variieren, baut kleine Action-Einlagen ins Geschehen ein und findet schließlich zu einem eigenen, dynamischen Erzählstil. Dabei gelingt ihm das Kunststück, dass auch diejenigen, die das Original und somit die Auflösung des Mordfalles kennen, dem Geschehen dennoch gebannt folgen. Genau wie Lumets Vorlage ist auch Branaghs "Mord im Orient-Express" in allererster Linie großes Schauspielerkino.

Es ist müßig darüber zu sinnieren, ob die Neuen den Alt-Stars das Wasser reichen können, aber das, was etwa Michelle Pfeiffer als Wiedergängerin von Lauren Becall im Finale aus dem Hut zaubert, muss den Vergleich mit dem Kinoklassiker nicht scheuen. Branagh selbst spielt den schrägen Kriminalisten deutlich weniger als Witzfigur, schreibt sich am Schluss sogar noch einen moralischen Konflikt von Shakespeare'scher Wucht ins Drehbuch und findet damit eine weitaus zufriedenstellendere Auflösung als das Original. Ein durch und durch gelungenes Remake, das die Vorlage mit Liebe und Respekt behandelt und diese ohne angestrengte Modernisierungen genau an den richtigen Stellen auffrischt. ( Malta/USA/114 Min.)