Nürnberger Doku-Zentrum plant Spiel über die Nazi-Zeit

15.3.2021, 11:31 Uhr

Die Nazis sind da: Szene aus dem Spiel "Behind the Scenes". © Doku-Zentrum Nürnberg, Zeichnung: Hamed Eshrat

Bis es so weit ist, dauert es noch: Aktuell wird das Haus in der Bayernstraße 110 aufwändig renoviert und ausgebaut. Die Wiedereröffnung ist für Ende 2023 angesetzt, der Start für "Behind the Scenes: Nuremberg '34" hingegen schon für diesen Herbst. Jetzt wurde das Spiel zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das digitale Projekt ist Teil des internationalen Förderprogramms "digital//memory" der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ). Mit an Bord sind unter anderem Dolby und die Universität Erlangen-Nürnberg. Das Spiel, das man sich weniger als ein klassisches Game denn als animierte, interaktive Graphic Novel vorstellen darf, hat ein Budget von 200.000 Euro.

Die Version, die im Herbst startet, ist ein erster Prototyp, der weiter ausgebaut und aktualisiert wird. Das Dokuzentrum hat schon jetzt nicht nur jede Menge weiteres Material fertig recherchiert, sondern auch neue Spielcharaktere in der Hinterhand.

Werbung
Werbung

Ein Foto vom Dachboden

Und so funktioniert "Behind the Scenes: Nuremberg '34": Zwei Geschwister finden auf dem Dachboden ein altes Familienfoto – und denken sich zurück ins Nürnberg des Jahres 1934. Dort sind gerade Reichsparteitage – die sechsten Festspiele dieser Art, mit denen sich die noch junge Diktatur für die ganze Welt sichtbar inszeniert. Adolf Hitler ist in der Stadt, Leni Riefenstahl dreht für ihren Propagandafilm "Triumph des Willens", dessen mächtige Bilder bis heute die Erinnerung an diese Zeit prägen und bestimmen.

Verschiedene Menschen erleben diese Septembertage ganz unterschiedlich. Da ist Marlene Kirchner, 43 Jahre alt, eine begeisterte Nationalsozialistin vom Land, die mit ihrem Gatten in die Stadt gereist ist und mit zahlreichen Schaulustigen vor dem Hotel "Deutscher Hof" steht, in dem Adolf Hitler traditionell abgestiegen ist. Ihre Hoffnung: Einen kurzen Blick auf den selbsternannten Führer erhaschen!



Ein zweiter Charakter ist Hugo Koch, ein SA-Mann aus Oberschlesien und seit den frühen Tagen der Bewegung begeistert dabei. Und dann ist da noch Fred Schlosser – ein Nürnberger Bub, der aus einer jüdischen Familie stammt.

Diese drei In-Game-Figuren hat es so nie gegeben, sie wurden auf Basis zahlreicher Recherchen und Zeitzeugeninterviews als fiktive Charaktere entworfen, die der Berliner Zeichner und Autor Hamed Eshrat zum Leben erweckt hat. Gleichwohl begegnen sie im Spiel historischen Figuren, die damals tatsächlich in Nürnberg gewesen sind.

Multi-Player-Perspektive

Interessant wird es immer dann, wenn sich die Wege der unterschiedlichen Protagonisten kreuzen. Bei besagter Szene vor dem "Deutschen Hof" etwa, wo Hitler-Groupie Kirchner ein Erinnerungsfoto schießt und der kleine Fred sich auf seinem Weg zur Synagoge durch die Menschenmassen kämpfen muss, die das Hotel belagern. Hier kann man wahlweise auf Marlene Kirchner klicken oder auf Fred . . . aber auch auf die beiden Damen, die ebenfalls in der Menge stehen, oder auf den Kamerawagen des Riefenstahl-Teams.

Je nachdem, wohin man klickt, wird der betreffende Aspekt vertieft – mal gezeichnet, mal mit historischen Originalaufnahmen, mal mit Zeitzeugeninterviews, in denen sich Menschen erinnern, wie die damals tatsächlich an dieser Stelle gestanden sind.

Überhaupt wird viel fotografiert und gefilmt in diesem September vor fast 90 Jahren. All diese Erinnerungen tauchen im Spiel immer wieder auf und bilden eine große Klammer zwischen Damals und Heute.

Feuerwerk über Nürnberg

Wichtig: "Behind the Scenes: Nuremberg '34" bietet keine dominante Erzählperspektive, sondern eine Multi-Player-Perspektive. Die Museumsbesucher schlüpfen nicht in die Rolle eines jüdischen Buben oder eines SA-Manns, sondern sie folgen diesen Charakteren in all ihren Widersprüchlichkeiten, die es auszuhalten gilt. Wie etwa jene Szene, in der der SA-Mann den jüdischen Buben auf seine Schulter nimmt, damit dieser besser das Feuerwerk über Nürnberg sehen kann.

Der selbe freundliche Mann in der brauen Uniform steht dann aber auch in der ersten Reihe, als Schaufensterscheiben eingeworfen und Synagogen angezündet werden. Darüber und über vieles mehr in "Behind the Scenes: Nuremberg '34" wollen und werden die Museumsmacher mit ihrem Publikum sprechen.