kuensterfluchtumfrage

Umfrage: Warum verlassen Künstler Nürnberg - oder bleiben hier?

25.3.2021, 10:46 Uhr

Marieta Chirulescu © Karlheinz Daut

Marieta Chirulescu (studierte bei Rolf-Gunter Dienst und zog 2009 nach Berlin): Vier Jahre nach Abschluss ihres Studiums blieb die Malerin, die mit Bildoberflächen experimentiert, noch in Nürnberg, bevor ein Stipendium ihren Entschluss besiegelte, nach Berlin zu gehen. Heute hat sie Galeristen in Mexico-City, Warschau und Neapel. "Das hätte ich nicht geschafft, wenn ich in Nürnberg geblieben wäre", sagt Chirulescu. "In Berlin ist es einfacher, gesehen zu werden und Kontakte zu knüpfen. Sammler und Kunstinteressierte schauen sich hier auch in den Ateliers um."

"In Nürnberg fehlt ein Atelierprogramm"

Was in Nürnberg vor allem fehle, sei eine Infrastruktur für Künstler und ein Atelierprogramm, wie es der BBK Berlin in Kooperation mit dem Senat der Stadt entwickelt hat. Damit werden laufend freiwerdende Räume zu Ateliers umgebaut und zu günstigen Preisen an Kunstschaffende vermietet.

Werbung
Werbung

Dem von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner oft angeführten Argument, auch Künstler seien Unternehmer, die sich auf dem Markt behaupten müssten, hält Chirulescu entgegen, dass Künstler – anders als Unternehmer – für jede Ausstellung kostenlos in Vorleistung gehen. "Kein Architekt würde Vorarbeiten ohne Honorar machen", so die Malerin. Die fehlende Honorarregelung sei bundesweit ein großes Manko.

Nürnberg, findet Chirulescu, müsste aber auch darüberhinaus mehr Verantwortung für die Künstler übernehmen. "Es gibt in der Stadt viele gute Leute, die aber nicht wahrgenommen werden."

Matthias Böhler & Christian Orendt © Thomas Tjiang

Matthias Böhler & Christian Orendt (studierten bei Michael Munding und zogen 2019 nach Berlin): Böhler ging direkt nach dem Studium nach Wien, Orendt nach Leipzig. 2010 kehrten beide nach Nürnberg zurück, um Lehraufträge an der Kunstakademie wahrzunehmen. Als Duo arbeiten Böhler & Orendt seit 2008 zusammen, für ihre oft raumgreifenden Installationen, in denen sie Gesellschaftskritik in spielerisch-sarkastischer Form üben, wurden sie vielfach ausgezeichnet. Längst stellen sie europaweit und auch in den USA aus.

Der Umzug nach Berlin war schon lange geplant und "keine Entscheidung gegen Nürnberg", wie beide betonen. "Wir mochten die Stadt und haben uns auch anerkannt gefühlt", sagt Orendt. Dank der bayerischen und der städtischen Atelierförderung, der "sehr günstigen" Ateliermiete in der Südstadt und der Lehraufträge habe man hier gut leben und arbeiten können. Ein großer Vorteil für ihre materialreiche Arbeit war außerdem die Nähe zu den Herstellerfirmen: "Hier war alles, was wir brauchten schnell verfügbar. In Berlin ist das komplizierter."

"In Nürnberg fehlen Austauschmöglichkeiten"

Einer der Hauptgründe für den Standortwechsel waren die besseren Kontakt- und Austauschmöglichkeiten, die eine Metropole wie Berlin bietet. "Das hat uns in Nürnberg schon gefehlt", sagt Böhler und meint das keinesfalls als Vorwurf. "Über das Nürnberg-Bashing haben wir uns immer gewundert. Natürlich stimmt es, dass man als Künstler aus Nürnberg weggehen muss. Aber abgesehen von Leipzig mit seinen besonderen Bedingungen gilt das für jede Halb-Millionenstadt, die niemals das kulturelle und künstlerische Umfeld bieten kann wie Berlin."

Florian Aschka © Larissa Kopp & Florian Aschka

Florian Aschka (studierte bei Peter Angermann und Heike Baranowsky) wechselte nach der Akademiezeit im Jahr 2012 gemeinsam mit seiner Kunstpartnerin Larissa Koopp nach Wien. Bereut habe er den Weggang aus Nürnberg nie, sagt der queere Performance- und Fotokünstler heute über Nürnberg: "Mir waren sowohl die Stadt als auch die Kunstszene zu beengend. Ich habe keinen Raum mehr gesehen, mich weiterzuentwickeln und die nötigen Förderungen zu bekommen."

Irgendwann sei er das Gefühl nicht mehr losgeworden, "durch zu sein. Jeden zu kennen, den ich kennen müsste und alle Gespräche geführt zu haben, die ich führen könnte". Natürlich sei auch in Wien nicht alles "Milch und Honig", aber viele einfache und wirksame Maßnahmen funktionierten. Die Erhöhung des Kulturbudgets zum Beispiel, oder dass in der Corona-Krise schnell und unbürokratisch Mittel für die Künste zur Verfügung gestellt worden seien.

"Nürnberg gefiel sich als die Verschmähte"

"Vor allem muss man sagen, dass Wien im Gegensatz zu Nürnberg mit seiner Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler ein enormes Glück hat", findet Aschka. "Ich hatte den Eindruck, Nürnberg gefiel sich in weiten Teilen als die Verschmähte in Bayern und als Provinzgröße. Dinge, die mir persönlich nicht so liegen."



Christian Rösner © Stefan Gnad

Christian Rösner (studierte bei Christoph Höpfner) ist nach seinem Akademie-Abschluss im Jahr 1997 in Nürnberg geblieben. "Weggehen war für mich nie eine Option", sagt der Bildhauer, "ich bin familiär hier verwurzelt. Auch deshalb war Nürnberg immer toll für mich."

Allerdings stelle er fest, "dass die Stadt ein großes Problem zu haben scheint mit der zunehmenden Aufwertung von jeder Hinterhofimmobilie." Dadurch werde massiv Atelierraum verdrängt. "Wenn da nicht gegengesteuert wird oder mal ein Konzept auf dem Tisch landet, dann gibt es bald keinen bildenden Künstler mehr in der Stadt."

Rösner ist selbst akut von der schwierigen Ateliersituation betroffen, bis Herbst muss er sein Atelier Auf AEG räumen, wo er ausreichend Platz hat, um auch große Bildhauerarbeiten zu schaffen. Er ist nun vor allem auf der Suche nach einem Lagerplatz und "fände es großartig in die Kongresshalle reinzukommen. Die soll ja umgenutzt werden für Kunst und Kultur".

"1000 Menschen in der Werkstatt gehabt"

Seine bisherigen 530 Quadratmeter seien "von ganz vielen Leuten erlaufen worden". Bei "Offen Auf AEG" habe er jährlich an die 1000 Menschen in seiner Werkstatt gehabt, "was ich faszinierend fand und schön. Die wollten sich das alle anschauen".

Hinterher hätten Schulklassen und Studierende bei ihm angefragt, erzählt Rösner: "Ich finde, dass es einen Wert für die Stadt hat, wenn Ateliers auch Zuschauer zulassen, und ich kann nur hoffen, dass auch die Politik da Prioritäten setzt."

Urban Hüter © Ralf Rödel

Urban Hüter (studierte bei Ottmar Hörl und zog 2019 nach Frankfurt/Main): Der Bildhauer, der sein Atelier ebenfalls Auf AEG hatte und den Charme des Areals sehr schätzte, sah nach dem bevorstehenden Ende der künstlerischen Zwischennutzung keine Zukunft mehr für sich in Nürnberg. Er ging zurück in seine Geburtsstadt Frankfurt, wo er mit drei anderen Künstlern eine ehemalige Industriehalle zum Atelier umbaute.

Hüter ist der Hauptmieter, bei den Kosten half neben einer Beteiligung des Vermieters das mit EU-Geldern unterstützte "Frankfurter Programm zur Förderung des Umbaus leerstehender Räume". Das sogenannte "Radar"-Programm sei eine "Superhilfe", mit der inzwischen etliche Räume in der Stadt für Kreative erschlossen worden seien. "Man fühlt sich gewollt und hat eine Arbeitsstätte, die langfristig funktioniert".

Daneben gebe es weitere von der Stadt geförderte Ateliers sowie von Vereinen wie "Atelierfrankfurt" getragene große Kunst- und Kreativzentren mit kostengünstigen Arbeits- und Ausstellungsräumen.

In Nürnberg fehlten solche Orte, Hüter vermisst den Mut, "krasse Impulse" zu setzen und einen Imagewechsel zu wagen. "Die Stadt müsste sich attraktiver machen für Künstler", findet er. "Auf AEG hat das ja geklappt. Das sterben zu lassen, ist ein Armutszeugnis."

"Künstler sind das Maschinenherz der Stadt"

Die im Zuge der Kulturhauptstadt-Bewerbung entwickelte Idee, die Kongresshalle für Künstler nutzbar zu machen, wäre für ihn ein wichtiger und richtiger Weg, um eine "ganz andere Wahrnehmung der Kunstszene herzustellen".

Künstler, so Hüter, "sind das Maschinenherz einer Stadt. Sie arbeiten umsonst und aus Überzeugung. Aber wenn es keinen Platz für sie gibt, gehen sie weg."

Umfrage: Regina Urban/Christian Mückl