Anschwellender Scheißwutgesang in Fürth

24.2.2015, 10:17 Uhr

„Das Leben wird nach vorne hin gelebt und nach hinten verstanden“ — wer hat’s gesagt? Middelhoff? Falsch, ganz falsch. Kurz taucht der Quelle-Massakrierer im neuen Fürther Bürgerbühnenprojekt allerdings doch auf, in Zitatform: Der rhetorischen Frage „Sind Sie pleite?“, begegnet er mit dem schneidigen Satz: „Ganz klare Antwort: Nein.“ Natürlich.

Doch versteht man nach hinten wirklich alles? Von jenen acht, die seinerzeit mit „Die Menschen von Primondo/Quelle“ das rappelvolle Stadttheater Fürth mit Wut und Frust und Witz zu Tränen rührten, sind anno 2015 fünf ein weiteres Mal willig, das Debakel mitsamt seinen Kollateralschäden auf einer Bühne widerzuspiegeln; einer, 2010 nicht mit von der Partie, ist neu an Bord eines wendigen Kampfbootes, das 60 Minuten lang mit voller Kraft voraus manövriert. Denn obgleich Beatrix Anlauft, Josef Bößl, Monika Follmer, Winfried Lernet, Sibylle Mantau und Udo Stenzhorn in jenen Gruselmonaten 09/10 in schwerstes Wasser gerieten, sie sind da, sind nicht zerschellt an Lebensklippen und vielleicht sogar, wie Anlauft in einem höchstpersönlichen Monolog gesteht, stressresistenter denn je. Was bleibt einem übrig.

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Ohne Kitsch und Klebrigkeit

Das Große Haus ist nicht mehr der Schauplatz, sondern „nur“ noch der kleine, 100 Zuschauer fassende kleine Saal des Kulturforums. Rampensprengend groß aber ist noch immer alles, was dieses wandlungsfähige Sextett der Ex-Quellianer berührt und bewegt, groß sind Sarkasmus, Schreck, Scheißwut. Wer von ihnen indessen wirklich wieder Tritt gefasst hat im Berufsleben, bleibt im Ungefähren, mit Ausnahme Follmers, die ihre 2010 begonnene Lebensgeschichte vom „Mädchen aus dem Banat“ hier weitererzählt und deren Erleichterung, Fuß gefasst zu haben mit der Betreuung Fürther Hortkinder, auch von der letzten Zuschauerreihe aus mit Händen greifbar ist.

Abermals zeichnet Johannes Beissel für die szenische Einrichtung verantwortlich, wieder gelingt ein Abend des anschwellenden Wutpickelgesangs ohne Kitsch und Klebrigkeit. Gegen zu viel Larmoyanz hilft ein breites Sortiment von Spielformen und -szenen.

Die Ex-PR-Fachfrau Mantau besingt beim Durchblättern des Quelle-Katalogs (spontaner Seufzer im Saal: „Der Letzte!“) in einer trefflich umgetexteten Popsong-Collage den brutalen Karrierestopp; zur chorischen Kakofonie gerinnt die beißend gewispert-geflüstert-geträllerte Ansammlung von Floskeln aus der Absage-Lyrik-Ecke; die Stuhlklopf-Performance wird zum Manifest des gemeinsamen, solidarischen Quellefamilie-Herzschlags. Und immer wieder monologische Reflektionen: Schuldgefühle („Hätten wir mehr tun müssen?“), morgendliche Panik vor dem leeren Tag, das 250. Bewerbungsschreiben.

Am früheren Arbeitsplatz, so Anlauft, werden heute plastinierte Leichen gezeigt. Das sagt alles. Und 2020?