Berlinale: "Systemsprenger" als heißer Bärenanwärter

8.2.2019, 18:20 Uhr

 Mit "Systemsprenger" ist der erste deutsche Film in den Berlinale-Wettbewerb um die Bären gestartet. Der Film von Nora Fingscheidt gehört zu den drei deutschen Beiträgen bei den 69. Filmfestspielen. Die deutsche Regisseurin schaffte es mit ihrem Spielfilmdebüt auf Anhieb in den Wettbewerb. "Ich bin aufgeregt und freue mich gleichzeitig, das geht Hand in Hand", sagte sie vor der Premiere am Freitag.

An diesem Samstag wird der nächste deutsche Film erwartet. Mit "Der Goldene Handschuh" kehrt Berlinale-Preisträger Fatih Akin ("Gegen die Wand") in den Bären-Wettbewerb zurück.

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Fingscheidt, die auch das Drehbuch geschrieben hat, sagte in Berlin: "Ich habe diesen Film gedreht, weil mich die Geschichte persönlich interessiert und weil sie sich mit etwas vermischt, was gesellschaftlich relevant ist." Für die Regisseurin und ihr Team gab es nach einer Vorführung viel Beifall.

Das Drama handelt von der neunjährigen Benni (Helena Zengel). Sie hält sich und ihre Umwelt mit unkontrollierten Wut- und Gewaltausbrüchen in Schach – was von den Betroffenen, wie etwa Sozialarbeitern, salopp oft mit dem fachlich nicht anerkannten Begriff "Systemsprenger" bezeichnet wird.

Die jetzt zehnjährige Hauptdarstellerin Zengel erzählte begeistert von den Dreharbeiten: "Schwierig war nur, sozusagen auf Knopfdruck zu weinen." Über den Arbeitsprozess verriet sie: "Ich habe das Drehbuch erst mit meiner Mutter gelesen, und wir haben darüber geredet, warum das Kind so ist, wie es ist."

Als einer der Favoriten ging am Freitag der französische Regisseur François Ozon ("8 Frauen") mit "Grâce à Dieu" ("Gelobt sei Gott") über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ins Rennen. Die Wahl des Themas begründete der fünfmalige Berlinale-Teilnehmer Ozon mit seiner bisherigen Arbeit: "Ich habe viele Filme gemacht mit starken Frauen, und ich wollte schon lange einen Film machen über Männer, die ihre Gefühle und Emotionen ausdrücken." Eines Tages sei er zufällig auf die Geschichte gestoßen.

Dabei geht es um einen Priester in Frankreich, der in den 1980er Jahren gegen Dutzende Kinder übergriffig geworden sein soll. Der Film erzählt, wie die Opfer Jahre später die Aufarbeitung einfordern. Aktuell läuft ein Prozess gegen den mächtigen Erzbischof von Lyon und fünf weiteren Geistliche wegen Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen.

"Der Film wurde zunächst unter einem falschen Titel gedreht", sagte Produzent Nicolas Altmayer in Berlin, "darin war überhaupt nicht die Rede von diesen barbarischen Taten." Co-Produzent Eric Altmayer berichtete zudem von Problemen bei der Finanzierung. "Der Film war nicht so ganz einfach zu finanzieren, das kann man sich vorstellen bei dem Thema", sagte er. "Auch eher klassische Filmpartner wollten nicht finanzieren aufgrund des Themas, obwohl sie die anderen Filme von Ozon vorher unterstützt hatten." "Wir haben gar nicht versucht, einen Finanzierung in Lyon zu bekommen, weil die Stadt sehr katholisch und die Mächtigen in Lyon sehr eng mit der Kirche verwoben sind", sagte Ozon, der das fünfte Mal im Wettbewerb dabei ist. "Wir wollten uns da keine Zensur auferlegen und frei arbeiten können." Das Festival ehrte vier Freunde und Förderer mit der Berlinale Kamera. Eine Auszeichnung geht an die US-amerikanische Produzentin Sandra Schulberg wegen ihres Engagements für unabhängige Filmemacher abseits von Hollywood. Die in Belgien geborene Filmemacherin Agnès Varda wird für ihre Rolle im französischsprachigen Film gewürdigt.

Den Regisseur und Drehbuchautor Herrmann Zschoche ehrt die Berlinale für sein kritisches Engagement in der DDR-Filmbranche. Auch Festival-Urgestein Wieland Speck steht auf der Liste. Er leitete von 1992 bis 2017 die Panorama-Sektion und hat 1987 den Teddy-Award – den queeren Filmpreis der Berlinale – initiiert.

Auch künftige Filme werden auf der Berlinale klargemacht: Wie das Fachblatt "Hollywood Reporter" berichtet, hat sich die Berliner Produktionsfirma Carte Blanche die Rechte an zwei deutschen Bestellern gesichert. So soll die Erinnerungen des in Berlin-Moabit aufgewachsenen Autors Arye Sharuz Shalicar "Lieber ein nasser Hund als ein trockener Jude" verfilmt werden. Um jüdisches Leben geht es auch in Myrna Funkes "Winternahe". In dem Roman erzählt eine in Ost-Berlin aufgewachsen deutschen Jüdin die Geschichte ihrer Familie nach.