Boulevard Babel: Rollrasen durchzieht Südstadt am Samstag

26.9.2018, 17:36 Uhr

Südstadt heißt Lärm, hoher Ausländeranteil, fehlendes Grün. Das wissen sogar Menschen, die nicht direkt in Nürnberg wohnen, viele meiden das Stadtviertel — und verpassen so einiges. Daran will das Kulturreferat mit dem Bewerbungsbüro zur Kulturhauptstadt jetzt etwas ändern. "Wir haben uns bewusst für die Südstadt entschieden, denn Migration ist eines der Zentralen Themen im Bewebungsprozess", erklärt Andreas Radlmaier, Leiter des Projektbüros am Kulturreferat.
Joachim Wagner, der die Kulturhauptstadt-Bewerbung leitet, sagt es noch drastischer: "Wir sind hier an der Schlagader der Stadt, mit allem Positiven und Negativen."

Ein mobiles Büro seiner Abteilung ist mit mehrsprachigen Mitarbeitern durch die Südstadt gezogen und hat die Anwohner angesprochen: Was heißt für sie Kultur, wie soll sich ihr Viertel entwickeln? „Die Antworten reichten von totaler Ablehnung über Unverständnis bis zu Freude und neuen Ideen“, berichtet Wagner. Auch, dass hier viele negativ über Flüchtlinge reden (übrigens auch Migranten der ersten Generation) oder andere sich in ihren Communities völlig abschotten. "Genau das ist es, was wir durch Begegnung aufbrechen wollen", so Wagner.

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Begegnungstag in der Wölckernstraße

Am 29. September steigt also ein Aktionstag, an dem geklotzt wird: Die Wölckernstraße wird am Freitag (28. September) ab 10 Uhr gesperrt, statt Teer ziert dann Rollrasen den Abschnitt zwischen Hummelsteiner Weg und Pillenreuther Straße. Eine grüne Begegnungsstätte, von der aus man zu Veranstaltungen in Läden, Hinterhöfen und sogar Wohnungen kommen kann.

Etliche freie Gruppen, Kultur-Institutionen der Stadt, Anwohner und Ideengeber wurden seit April angesprochen. Regisseur Malte Jelden führt die Fäden zusammen. "Wir haben uns 'Liebe' als übergreifendes Thema ausgesucht und Bürger aufgefordert, uns eine Geschichte zu schicken, in der es um Liebe geht — zwischenmenschliche, aber auch die zu ihrer Stadt."

Vielfältiges Programm

Herausgekommen ist eine vielfältige Text-Auswahl, die von Schauspielern vorgetragen wird. In einem lauschigen Hinterhof sollen aber auch echte Liebespaare ganz verschiedener Herkunft eine Szene aus "Romeo und Julia" in unterschiedlichen Sprachen spielen. Es gibt Schnupperkurse in 13 Sprachen, Gesang von sechs Chören verschiedener Kulturen, einen "Vertikaltanz" an der Fassade des Musikhauses Klier, Musik-Workshops und, ganz zentral mitten auf der Kreuzung, die "Speaker’s Corner", wo man mit Oberbürgermeister Ulrich Maly und vielen anderen diskutieren kann.

"Wir wollen einen Anstoß zum Kommunizieren geben, das kann auch Streitkultur sein", sagt Wagner. Dass die meisten der Geschäftsleute, bei denen angefragt wurde, sehr offen waren, freut das Team. "Das kann nur gut werden, meine ganze Familie freut sich drauf", sagt Hassan Sel euphorisch, der in der Wölckernstraße nicht nur seinen Handyladen zur Verfügung stellt, sondern auch seine Wohnung. "Wenn es nichts wird, sind die Leute selbst schuld", ist er überzeugt.

Dass das ganze nicht nur eine Eintagsfliege, sondern nachhaltig wird, ist beabsichtigt: "Wir haben viele Statements der Bewohner gesammelt und sammeln weiter", sagt Joachim Wagner. "Danach geben wir uns eine Woche Zeit, das auszuwerten". Kulturreferentin Julia Lehner sieht im "Boulevard Babel" ein Beispiel für Projekte, die mit Beteiligung der Bevölkerung entstehen können.

Die bisherige Resonanz macht den Veranstaltern Mut. Das Projekt soll sowohl die Südstädter selbst als auch Leute aus anderen Stadtteilen und von außerhalb zusammenführen. Im besten Fall werden Wünsche und Anregungen der Bürger später umgesetzt. Das Minimalergebnis ist aber: Begegnung unter denen, die eigentlich nebeneinander wohnen, aber nie miteinander sprechen.

Tipps zum Besuch:

Der Nürnberger Aktionstag zur Kulturhauptstadtbewerbung findet am kommenden Samstag, 29. September, von 13 bis 19 Uhr in der mit Rollrasen begrünten Wölckernstraße statt, die dafür (bereits ab Freitag um 10 Uhr) zwischen Hummelsteiner Weg und Pillenreuther Straße gesperrt wird. Ein Folder informiert mit Lageplan über alle 37 Programmpunkte. Hier eine kleine Auswahl:

Wer Spektakel liebt, ist etwa beim Vertikaltanz an der Fassade vom Musikhaus Klier gut aufgehoben (13.45, 15.45, 16.45 und 17.45 Uhr). In der Zwischenzeit "begrünt" Graffitti-Künstler Julian Vogel dort die Fassade, was sicher auch ein Hingucker ist.

Zuhören ist angesagt in Brögers Buchladen, wo u.a. Fitzgerald Kusz und Maede Soltani Geschichten rund ums Herz auspacken (13-19 Uhr). Und wenn es um 15 und 17 Uhr heißt: "Chöre in Love"

Informationen im Speaker's Corner

Zum Diskutieren und Informieren lädt um 14, 16 und 18 Uhr die "Speaker’s Corner" u.a. mit OB Ulrich Maly, Kulturreferentin Julia Lehner und Umweltreferenten Peter Pluschke.

Kochen kann man um 13, 15 und 17 Uhr unter Anleitung erfahrener Köche in der mobilen Küche. Anmeldung unter www.nuernbergkultur.de

Apropos Anmeldung und Mitmachen: Für manche Aktionen muss man sich wegen begrenzten Platzkapazitäten am Aktionstag am zentralen Infoschalter anmelden. Die Teilnahme ist kostenlos.

Beteiligen können sich alle Bürger auch am "Museum für einen Tag". Sie sind eingeladen, mit einem Gegenstand aus ihrem Besitz, der ihre Liebe zur Stadt ausdrückt, in die Südstadt zu kommen. Diese Objekte werden auf dem "Boulevard Babel" ausgestellt, vom Stadtarchiv betreut und gehen abends wieder in den Besitz des Eigentümers über.