Die ruhigen Seiten des Glastöters

20.1.2020, 13:30 Uhr

Zuerst und über allem: Tiefer Bückling vor Boris Keil, der ein 50Seiten-Manuskript in 90 Minuten fokussiert und allzeit unangestrengt im Mutterseelenalleingang wuppt. Im noch immer laufenden David-Bennent-Nachmach-Wettbewerb ist er außerdem glorreicher Letzter. Und das ist hervorragend so.

Nichts wäre nämlich nervtötender, als dem original Oskar Matzerath aus der legendären Schlöndorff-Verfilmung einen noch originaleren, noch dämonischeren, noch durchtriebeneren Oskar Matzerath entgegenzusetzen. Physiognomisch ist Keil der Psychopathen-Legende Peter Lorre übrigens ausgesprochen ähnlich. Auch das hätte Fürths Stadttheater-Intendant und Regisseur Werner Müller offensiv ausspielen lassen können. Gut, dass er es bleiben lässt.

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Mit Oliver Reeses "Blechtrommel"-Surrogat ist es allerdings so eine Sache. Das 2015 am Frankfurter Schauspielhaus uraufgeführte Monodrama trägt alle Züge eines Taschenspielertricks. Wie denn das zu machen ist, Günter Grass’ berserkerhafte XL-Abrechnung mit Nazis und Nachkriegs-Gemütlichkeit auf nur eineinhalb Solo-Stunden einzukochen, ist die Frage, die Reese schnippisch beantwortet – mit einem höchst überraschenden Schluss anno 1945. Der Krieg ist zu Ende, doch die Düsseldorfer Jahre des Blechtrommlers und die Zeit im tränenreichen Zwiebelkeller bleiben außen vor. Ist das ein Zugeständnis an die Physis des Akteurs und ans Sitzfleisch der Zuschauer? Klar. Ein Zugewinn? In keiner Weise.

Auch lässt Reese die erzählerische Rückblende – Grass’ Oskar schreibt sein Leben in der Psychiatrie nieder – weg und gibt der linearen Berichterstattung Vorfahrt. Was im Ergebnis ein recht pfleglich-behagliches "Blechtrommel"-Best-of ergibt. Kartoffelacker-Zeugungsakt, Treppensturz, Nazi-Aufmarsch-Chaos, Jesus-Dialoge, Pferdekopf und Brausepulver – alles drin, alles da für die große ADHS-Oskar-Matzerath-Show.

Genau hier aber machen Keil und Müller das einzig Richtige: Aus der One-Man-Show wird ein Ein-Mann-Kammerspiel. Einwenden ließe sich, dass das Spiel- und Sprachtempo dieses Abends deutlich variabler und konturenschärfer sein müsste, um den Unerträglichkeiten und Unverträglichkeiten des Romans beizukommen. Was die Literaturszene 1959 zutiefst erschütterte und C-Parteien in die Schnappatmung trieb, es ist im Kulturforum nicht gerade mit Händen greifbar. Auf der schiefen, mit wenigen Requisiten – immerhin ist der Trommelverschleiß immens – versehenen schmalen Bühne (Christian van Loock) agiert Keil nicht als Oskar, sondern als Schauspieler, der in sein Navi "Oskar" eingegeben hat.

Deshalb fliegt einem diese Fürther "Blechtrommel" nicht um die Ohren, sie übersteuert nicht, verstört nur hauchzart. Eine rundum glastötende Rotz-und-Kotz-Produktion hätte das werden können – aber nicht müssen, denn Keil, der lediglich am rheinischen Dialekt scheitert, besitzt die gute Gabe der Imagination; der Zuschauer wird nicht von Bildern drangsaliert, sondern mit ruhigem Gestus eingeladen, seine Bilder im Kopf zu finden.

Was hier also gelingt, gleicht dem Rudern übern See: Plötzlich siehst du die Tiefe. Umso ärgerlicher, dass ausgerechnet die Brausepulver-Szene zum Geplänkel mit dem Publikum gerät, so, als hätte Müller dann doch noch eine Showbiz-Lücke entdeckt. Dennoch ein schöner, heftig beklatschter Abend; aber einer mehr, der die Erkenntnis hinterlässt: Am Original führt kein Weg vorbei. Dass Keil darauf Lust macht, ist nicht das schlechteste Argument.

InfoWeitere Termine: 21.–24. Januar, 21.–23. Mai (je 20 Uhr) und 24. Mai (18 Uhr). Karten-Tel. (09 11) 9 74 24 00.